4.2 Kulturstadt Linz = ?

In einer ersten Frage wurden die Interviewpartner_innen gebeten, Assoziationen zum Begriff “Kulturstadt Linz” darzulegen.

INFO

Das Image von Linz war lange Zeit durch Industrie und Provinz festgeschrieben, wie Slogans der letzten Jahrzehnte zeigen:

  • In Linz, da stinkt’s!
  • Was reimt sich schon auf Linz?
  • Stahlstadt Linz
  • Linz an der Tramway (Durch den Volksmund geprägter Beiname, Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts)
  • Linz an der Landstraße (spöttischer Spruch)
  • Linz – Donaustadt am Alpenrand (Slogan aus den 1950er-Jahren)
  • In Linz beginnt’s! (Offizieller Slogan ab 1973)
  • Linz. Eine Stadt lebt auf! (Offizieller Slogan ab 1989)
  • Linz im Anzug (Slogan aus der Imagekampagne 1989 – 1994)
  • Linz, verändert (Offizieller Slogan ab 2008)

Teilweise wird in den Antworten ein weiter geschichtlicher Bogen gespannt, in erster Linie durch die Assoziation mit der Zeit des Nationalsozialismus und der Bezugnahme auf die nicht verwirklichten Pläne eines Ausbaus von Linz zu einer Kulturmetropole oder zu einzelnen Ereignissen wie dem Sonderauftrag “Führermuseum”. Ein weiterer historischer Bezug, der eine Assoziation mit “Kulturstadt Linz” herstellt, betrifft Hinweise auf die Zwischenkriegszeit (Eduard Macku, “Flammen der Nacht”). Vereinzelt wird in den Antworten auf die nähere Vergangenheit eingegangen, auf einzelne Namen und kulturelle Entwicklungen der 1970er- oder 1980er-Jahre wie Helmuth Gsöllpointner mit Forum Metall und Forum Design oder Haus-Rucker-Co mit der Nike. Mehrfach wird dabei auf das Image der Arbeiterstadt, Stahlstadt und Industriestadt und den Imagewandel in Richtung einer Kulturstadt hingewiesen, teilweise mit kritischen Zusätzen wie jenem, dass Linz nach wie vor Provinzstadt sei, es einen verzweifelten Versuch bzw. das Bemühen gibt, eine Kulturstadt zu werden, dem Hinweis, dass nach wie vor nicht an Linz gedacht wird, wenn von österreichischen Kulturstädten die Rede ist und dem noch immer wahrnehmbaren Kampf um Aufmerksamkeit zwischen Salzburg und Wien.

In Zusammenhang mit dieser Positionierung sind jene Hinweise zu lesen, die von einem fehlenden Bürgertum in der Stadt sprechen, wodurch sich allerdings neue Optionen für Linz aufgetan haben bzw. auftun. Hierunter fallen Assoziationen, die an der Schnittstelle zwischen Kultur- und Gesellschaftspolitik liegen, etwa wenn Linz mit einer pragmatischen Offenheit bei den Möglichkeiten der Umsetzung in Verbindung gebracht oder das demokratische Potenzial angesprochen wird, auch wenn sich hier von einigen Interviewpartner_ innen kritische Stimmen anschließen (Pseudo-Mitbestimmung, Selbstausbeutung). Das Aufsuchen von historischen oder gesellschaftlichen Brüchen, die gesellschaftskritische Haltung im Kunst- und Kulturfeld oder ein Blick über den Tellerrand der Stadt hinaus sind ebenfalls in diesem Zusammenhang zu sehen. Kulturstadt Linz in diesem Sinne bedeutet ein gesellschaftspolitisches Programm, Kultur wird als Teil von Stadtentwicklung aufgefasst.

Mehrfach wird assoziiert, dass Linz eine aufstrebende Stadt der Kunst sei, vor allem der zeitgenössischen und gegenwartsbezogenen Kunst. Linz sei eine populäre Stadt mit gutem Ruf, voluminös, modern und zukunftsorientiert, eine unterbewertete Stadt mit großem Entwicklungspotenzial – vorausgesetzt das Budget ist vorhanden. Für die Größe der Stadt gäbe es einen enorm hohen Anteil an kulturellem Geschehen, eine beachtliche kulturelle Vielfalt, ein Kulturangebot in allen Disziplinen.

INFO

Wenn von “Kulturstadt” gesprochen wird, sind zwei Begriffe von besonderer Bedeutung, jener des Images und jener der Identität. Mit dem zunehmenden Wettbewerb um Wirtschaftsstandorte, um die besten Köpfe und angesichts sinkender Populationen im Wettbewerb um Bewohner_innen bemühen sich Städte immer mehr um die Planung und Steuerung nicht nur ihres kulturellen Images (dem Bild nach außen) sondern auch ihrer kulturellen Identität (der Wahrnehmung nach innen). Letztere soll garantieren, dass den Versprechungen des attraktiven Images auch eine messbare Realität in der Stadt entspricht. [1]

Der im ersten KEP festgelegte Schwerpunkt “Neue Medien und Technologien” spiegelt sich in einigen Antworten wieder, etwa indem darauf hingewiesen wird, dass Linz bei den neuen Medien internationale Bedeutung hat oder die Disziplinen der Medienkunst und -kultur jene seien, wo vieles in der Stadt funktioniere. Andere künstlerische Disziplinen wie Film oder bildende Kunst werden nur vereinzelt genannt, manches Mal folgt ein Verweis auf die Interdisziplinarität, einzig und allein Musik wird mehrmals mit “Kulturstadt Linz” in Verbindung gebracht (breite Fächerung, Konzerte, Bruckner, elektronische Musik), wobei auch Leerstellen ausgemacht werden (fehlende Jazz-Szene) oder von einigen Interviewpartner_innen stark auf die Vergangenheit Bezug genommen wird, etwa auf die frühere Musikszene rund um Café Landgraf und Elektro Schmid, welcher der Mythos des Rebellischen anhaftet. Nonkonformistisches Verhalten und diese Reibungsfläche eines Nicht-Akzeptiert-Seins als Potenzial werden zwar an einigen Stellen auch noch der heutigen Freien Szene zugeschrieben und sie wird nach wie vor als Gegenpol zu den institutionalisierten, auf sich selbst bezogenen Kunst- und Kultureinrichtungen gesehen, allerdings wird mehrfach kritisch vermerkt, dass dieses widerständige Potenzial zum Teil erloschen ist. Die Assoziationskette läuft dabei in beide Richtungen weiter. Zum einen werden die Verbindungen, die sich zwischen Hoch- und Subkultur ergeben haben, als vorteilhaft gesehen (flache Hierarchien), zum anderen der “familiäre Umgang der Verwaltung mit der Freien Szene” und damit einhergehende Nachteile und die Gefahren einer “umarmten Opposition” hervorgehoben.

Weitere Assoziationen beziehen sich auf verschiedene Themen, die mit Kunst und Kultur in Verbindung stehen. So wird die Kulturstadt Linz vereinzelt mit Stadtteilkultur in Verbindung gebracht oder – allerdings gleich mit beigefügter Kritik – mit Kunst- und Kulturvermittlung, ebenso mit fehlenden Entwicklungen in der Frauenpolitik, der Abwanderung von künstlerischem Potenzial aus der Stadt, den fehlenden Möglichkeiten für außerschulische Kulturarbeit oder der vertanen Chance der Besetzung eines interdisziplinären Themas wie Akustik. Mehrere Interviewpartner_innen antworten auf die Frage mit einem dritten Schwerpunkt des ersten KEP, dem kulturpolitischen Programm eines Kultur für Alle. Auffällig ist hierbei, dass diese Assoziation vor allem Personen treffen, die älter sind, d. h. ihre kulturelle Sozialisierung vor allem in den 1970er- und 1980er-Jahren erfahren haben.

Einige weisen in ihrer Antwort umgehend darauf hin, dass Linz (noch) keine Kulturstadt sei oder hinterfragen den Begriff “Kulturstadt Linz” als solchen kritisch. Andere meinen, der Begriff als solcher sei eine Wortmarke, aber nicht mehr. Vorgebracht wird zudem, dass Linz keine Kulturstadt sei, da es an zielstrebigem und mutigem Vorgehen mangle und noch vieles fehle, etwa ein intellektuelles und emanzipatives Klima oder die umfassende Partizipation von benachteiligten Gruppen wie etwa Migrant_innen. Der letztgenannte Punkt wird des öfteren kritisch hervorgehoben, etwa indem mit Slogans wie “Alle haben das Recht, Rechte zu haben!” und “Alle haben das Recht, unterschiedlich zu sein!” reagiert oder direkt die fehlende Miteinbeziehung in kulturelle Belange assoziiert wird.

Erwarteter Weise beziehen sich viele Assoziationen auf die großen öffentlichen Kultureinrichtungen in der Stadt. Von mehreren Interviewpartner_innen wird die Gleichung “Kulturstadt Linz = gebaute kulturelle Infrastruktur” aufgestellt. Genannt werden insbesondere die großen Kultureinrichtungen der Stadt Linz, AEC, Lentos und Brucknerhaus. Etwas seltener wird mit Posthof und Nordico, den Kultureinrichtungen des Landes Oberösterreich OK Offenes Kulturhaus Oberösterreich, Schlossmuseum und Landesgalerie und der Kunstuniversität Linz geantwortet. Relativ oft mit “Kulturstadt Linz” assoziiert wird auch das neue Musiktheater. Andere öffentliche Kultureinrichtungen und Plätze wie Landestheater, Anton Bruckner Privatuniversität, Ursulinenhof, Landhaus, Büro Linz Kultur, Wissensturm, Tabakfabrik, Musikschule der Stadt Linz, Atelierhaus Salzamt, Musikpavillon, Rosengarten, Volksgarten, Volkshäuser, allgemein die Universitäten und die Bibliotheken werden nur vereinzelt genannt.

Im Gegensatz dazu wird ebenfalls relativ häufig einer der vier Schwerpunkte des ersten KEP mit der Kulturstadt Linz in Verbindung gebracht, indem allgemein “Freie Szene” als Antwort wiedergegeben wird. Kleinere Einrichtungen und Initiativen aus diesem Bereich werden allerdings bei weitem nicht so oft genannt wie die drei “Highlights” bei den großen öffentlichen Kultureinrichtungen. Nur die Stadtwerkstatt, die KAPU, das afo architekturforum oberösterreich und das Theater Phönix können mehrere Nennungen verzeichnen. [2] Vereinzelte Nennungen betreffen darüber hinaus noch kleinere anderer Initiativen der Freien Szene wie KUPF, IFEK und Roter Krebs, Künstlervereinigung MAERZ, qujOchÖ, Kunstraum Goethestraße xtd oder Moviemento. Vereinzelt wird in diesem Zusammenhang kritisch angemerkt, dass es zu wenig Platz für die Freie Szene gibt und ein Mangel an Probe- und Aufführungsräumen besteht.

Neben der kulturellen Infrastruktur machen für viele der Interviewpartner_innen die zahlreichen Formate und Ereignisse die Kulturstadt Linz aus, insbesondere das Festival Ars Electronica, die Klangwolke und das Crossing Europe Filmfestival. Sehr oft wird in diesem Zusammenhang das vergangene Kulturhauptstadtjahr angeführt, wobei zusätzliche Bemerkungen die Ambivalenz in den Bewertungen dieses Ereignisses zum Ausdruck bringen – von einem großen Sprung durch Linz09 bis hin zur Qualifizierung als schlechtes Kulturhauptstadtjahr. Andere Ereignisse wie LinzFest, Pflasterspektakel, nextComic, Brucknerfest, 4020, Poesiefestival, Neujahrsschnalzen am 1. Jänner, Triennale oder Höhenrausch werden vereinzelt assoziiert.

Auffällig ist, dass keine Assoziationen zum Bereich der Kinder- und Jugendkultur bestehen oder direkt der Hinweis kommt, dass einzelne Angebote wie etwa ein Kindermuseum fehlen. Auch der Tanz- und Theaterbereich trägt für die Interviewpartner_innen relativ wenig zum Bild der Kulturstadt Linz bei. Einige Male explizit angesprochen werden die für eine Kulturstadt fehlenden Galerien.

INFO

Der seit Ende der 1980er-Jahre zunehmende Imagewandel der Stadt Linz in Richtung Kulturstadt zeigt sich in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts SPECTRA aus dem Jahr 2002. Dabei wurde u. a. direkt nach dem Image von Linz gefragt. [3] Während in einer vergleichbaren Umfrage aus dem Jahr 1993 noch 75 Prozent der befragten Personen Linz gedanklich mit Industriestadt verbanden, waren es 2001 nur noch 66 Prozent. 2002 stieg der Anteil jener, die in Linz vor allem einen Industriestandort sehen, wieder auf 68 Prozent an. 1993 assoziierten 22 Prozent der befragten Personen Linz mit Kulturstadt. Bis 1999 hat sich der Anteil mit 46 Prozent mehr als verdoppelt. Danach ist die Wahrnehmung von Linz als Kulturstadt wieder leicht gesunken (2002 waren es 42 Prozent). Außerdem spiegelte die Einschätzung und die Nutzung des Kulturangebots der Linzer Bevölkerung die Bedeutung von Linz als Kulturstadt wider. 56 Prozent empfanden im Jahr 2002 das Veranstaltungsangebot als groß bis sehr groß und 16 Prozent nutzten es intensiv bis sehr intensiv. 30 Prozent der Befragten hielten das Kulturangebot für besser als in anderen Landeshauptstädten. 54 Prozent der interviewten Linzer_innen sahen in der Errichtung des Kunstmuseum Lentos eine Bereicherung für Linz als Kulturstadt und 72 Prozent hatten das Gefühl, dass sie als Linzer_innen stolz auf das Angebot an Kunst-Ausstellungen sein können.

Fußnoten

  1. ↑ vgl. Göschel 2006, S. 235 f.
  2. ↑ Es soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, dass es sich um eine repräsentative Umfrage handelt. Nichtsdestotrotz zeichnen die verdichteten Antworten von 73 maßgeblichen Persönlichkeiten (in einem Interview wurden zwei Personen gleichzeitig interviewt) aus dem Kunst- und Kulturfeld ein Bild davon, für was die “Kulturstadt Linz” steht.
  3. ↑ vgl. SPECTRA Marktforschungs GmbH 2002
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