4.3 Nach dem KEP: Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Seit der Erstellung und Beschlussfassung des ersten Kulturentwicklungsplans der Stadt Linz sind mittlerweile über zehn Jahre vergangen. Im Zuge der vorliegenden Arbeit wurden die Interviewpartner_innen daher gefragt, was sich ihrer Meinung nach in den letzten höchstens zehn Jahren in kultureller Hinsicht in Linz besonders gut entwickelt hat und mit welchen kulturellen Entwicklungen sie überhaupt nicht zufrieden sind.

Als besonders gut werden folgende Entwicklungen eingeschätzt:

  • Eine grundsätzlich dynamische Entwicklung des Kunst- und Kulturbereichs, initiiert durch das Europäische Kulturmonat 1998 und den ersten KEP und beschleunigt durch das Europäische Kulturhauptstadtjahr, wobei das Jahr 2009 selbst im Gegensatz zur durchwegs positiv wahrgenommen Bewerbungsphase ambivalent beurteilt wird. Mehrfach wird die Wahrnehmung geäußert, dass es zu einer Zunahme von kulturellen Angeboten in der Stadt gekommen ist.
  • Der Mut der politischen Entscheidungsträger_innen, beträchtliche Mittel für den Bau von Kultureinrichtungen auszugeben und somit den Aufholprozess gegenüber anderen Städten in dieser Hinsicht weitestgehend zu vollenden. Sehr häufig wird dies mit dem Bau des Lentos Kunstmuseum und dem Um- und Neubau des Ars Electronica Centers in Verbindung gebracht, seltener auch mit dem Südflügel des Schlossmuseums, dem Wissensturm, dem Atelierhaus Salzamt oder dem neuen Musiktheater.
  • Die im allgemeinen relativ gute Förderung von Kunst und Kultur, dazu die Einrichtung von Dreijahresförderungen und Sonderförderprogrammen für freie Kunst- und Kulturinitiativen.
  • Die Entwicklung der Museen in Linz, allen voran die mutige programmatische Ausrichtung des Lentos.
  • Die Entwicklung der Ars Electronica und die nach wie vor vorhandene Lokomotivfunktion für den gesamten Kunst- und Kulturbereich in Linz, außerdem, dass es geschafft wurde, die internationale Bedeutung im Bereich der Neuen Medien zumindest beizubehalten.
  • Die Positionierung der Kunstuniversität und deren zunehmender Einfluss auf das kulturelle Feld in der Stadt.
  • Die Entwicklung der zeitgenössischen Kunst in Linz und das zugrundeliegende Bekenntnis, zeitgenössische Kunst zu fördern.
  • Die gestiegene Präsenz und die internationale Ausrichtung von großen Formaten im öffentlichen Raum, z. B. Pflasterspektakel, LinzFest, Ars Electronica, Klangwolke, Höhenrausch. Positiv erwähnt wird in diesem Zusammenhang auch mehrfach die Niederschwelligkeit dieser Angebote.
  • Die grundsätzlichen Möglichkeiten, die Linz nach wie vor bietet, sich künstlerisch und kulturell entfalten zu können.
  • Die Entstehung von neuen Kunst- und Kulturinitiativen und Formaten. Hervorgehoben werden dabei der hohe Grad an Eigeninitiative in diesem Bereich, einzelne Festivals (Crossing Europe, SCHÄXPIR, nextComic, 4020, sicht:wechsel, …), die kritische und unkonventionelle Ausrichtung von Projekten, die entstandenen Differenzierungen innerhalb der Freien Szene (z. B. Entstehung neuer Initiativen im darstellenden Bereich) und die vor allem durch den ersten KEP angestoßene Verankerung der Freien Szene als kulturpolitischer Schwerpunkt.
  • Die gestiegene Bereitschaft zu Vernetzung und Kooperation und die Zunahme von gegenseitiger Akzeptanz innerhalb des Kulturbereichs, sowohl die Kooperationen zwischen öffentlichen Kultureinrichtungen und der Freien Szene (flache Hierarchien), innerhalb und zwischen verschiedenen Disziplinen (z. B. Cross-Over im Musikbereich), zwischen Künstler_innen und Kulturarbeiter_innen (v. a. in der Freien Szene) als auch zwischen Kultureinrichtungen des Landes Oberösterreich und der Stadt Linz (z. B. im Rahmen der Triennale).
  • Die Professionalisierung im Kulturbetrieb, sowohl bei der Kulturverwaltung (z. B. Ausschreibung von Förderprogrammen, Gender Mainstreaming, Synergieeffekte durch Zusammenführung von Verwaltungseinheiten, …) als auch bei kleinen und großen Kunst- und Kultureinrichtungen (z. B. Öffentlichkeitsarbeit).
  • Der Ausbau des Images als Kulturstadt und die allgemeine Positionierung als Kulturstadt in einem überregionalen Kontext. Die Bedeutung von Kunst und Kultur als identitätsstiftendes Merkmal ist mittlerweile festgeschrieben. Die zunehmende Bedeutung von Kunst und Kultur zeigt sich auch am gestiegenen Interesse der Bevölkerung, wie dies vor allem im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres wahrgenommen wurde.
  • Die Entwicklung eines Bewusstseins bei den politischen Entscheidungsträger_innen, dass Kunst und Kultur wichtige Faktoren in der Stadtentwicklung sind.
  • Die Verstärkung der Verbindungen zwischen Kultur und Tourismus, vor allem initiiert durch Linz09.
  • Von einzelnen Interviewpartner_innen werden darüber hinaus genannt: die Entwicklung des Programmkinos, die Entwicklung der Literaturszene rund um das StifterHaus, das aktive Programm des afo architekturforum oberösterreich, die Möglichkeiten für junge Musikgruppen im Posthof, die Entwicklung des Brucknerorchesters, einzelne Versuche im Bereich der Stadtteilkulturarbeit (Volkshäuser, Gelbes Haus BELLEVUE, …), die Ermöglichung von Partizipation durch Einrichtung des Stadtkulturbeirats, der Ausbau der freien Medien, der teilweise vollzogene Generationenwechsel in den Kultureinrichtungen, Leistungen im Sozialbereich, die als kulturelle Leistungen aufgefasst werden können (z. B. die Pflege und Betreuung der alten und älteren Menschen in Linz)

Dem gegenüber stehen in der verdichtetenWahrnehmung der interviewten Persönlichkeiten folgende Entwicklungen der letzten Jahre, die als nicht zufriedenstellend eingeschätzt werden:

  • Die zunehmende Betonung von quantitativen gegenüber qualitativen Kriterien in der kulturpolitischen Beurteilung des Angebots, etwa im Zuge der Diskussionen über Besucher_innenzahlen im Lentos oder im Europäischen Kulturhauptstadtjahr.
  • Sehr häufig wird – aus unterschiedlichster Perspektive – die Auffassung vertreten, dass die Investitionen in Kulturbauten, aber auch die allgemeine Entwicklung der Förderungen für die öffentlichen Kultureinrichtungen, in keinem Verhältnis zur Entwicklung der Förderungen für die freien Initiativen und freischaffenden Künstler_innen stehen. Es kommt zu einer Aushöhlung der Freien Szene, deren Bedeutung wird zurückgedrängt, sie verliert an Sichtbarkeit gegenüber den großen, öffentlichen Kultureinrichtungen.
  • Trotz der guten Entwicklung der zeitgenössischen Kunst fehlt es ihr noch an Anerkennung, insbesondere bei der Bevölkerung, aber auch teilweise bei den politischen Entscheidungsträger_innen. Mehrfach wird mangelndes Verständnis und fehlende Unterstützung der Politik in diesem Zusammenhang moniert, zu wenig Aufgeschlossenheit und vor allem das Fehlen von Mut und Risikobereitschaft, Neues und Experimentelles noch mehr zu fördern.
  • Das Image der Stadt ist noch sehr allgemein auf Kulturstadt festgeschrieben, dazu eventuell noch Neue Medien, eine weitergehende und differenzierte Positionierung nur ansatzweise nach außen erkennbar.
  • Die fehlende Beteiligung der Freien Szene an Linz09. (vgl. dazu Kapitel 4.6)
  • Der Bruch nach Linz09 und die damit vertanen Chancen, an einzelne Impulse und Projekte wie z. B. das Akustik-Thema mit dem Akustikon intensiver anzuknüpfen.
  • Fehlende Entwicklungen in der Migrationspolitik, u. a. zu wenige Kulturprojekte, die Migrant_innen betreffen und mangelhafte Beteiligungsmöglichkeiten für Migrant_innen.
  • Eine längerfristige kulturpolitische Strategie ist nur teilweise wahrnehmbar, es werden zu viele Entscheidungen aus einem operativen Verständnis heraus getroffen und oft ist unklar, weshalb bestimmte Entscheidungen genau so getroffen werden (z. B. die unbegründete Vergabe oder Verwehrung von Förderungen).
  • Kunst und Kultur in Linz werden mehrfach als relativ abgeschliffen und wenig kantig wahrgenommen. Zu wenig wird in tiefer gehende, spannende Auseinandersetzungen investiert, es besteht keine ausgeprägte Konfliktkultur, der kulturpolitische Diskurs über den Stellenwert von Kunst und Kultur ist nach dem ersten KEP wieder verflacht, eine zu starke Orientierung auf oberflächliche Eventkultur und eine Konsumorientierung werden kritisiert.
  • Teilweise zu wenig Mut bei neuer Architektur, außerdem teilweise mangelhafter Umgang mit historischer Bausubstanz (z. B. Hauptplatz, neue Eisenbahnbrücke, …).
  • Ein Mangel an nicht vordefinierten Räumen, die schnell und einfach für Low-Budget- Produktionen oder für Proben verwendet werden können.
  • Die Nutzung des Donauraums wird mehrfach als mangelhaft bezeichnet, der Fluss wird aus kultureller und künstlerischer Perspektive schlecht genutzt, die Integration des Hafens ist nicht gelungen.
  • Die fehlende Offenheit, Transparenz und Einbindung von interessierten Personen bzw. der Bevölkerung bei Großprojekten, insbesondere im Zusammenhang mit der Entwicklung der Tabakfabrik.
  • Das Fehlen einer Plattform oder eines Magazins zur Bündelung der unterschiedlichen Initiativen, vor allem nach Einstellung der Zeitschrift “spotsZ. Kunst. Kultur. Szene. Linz”.
  • In einzelnen Antworten finden sich noch weitere Entwicklungen, zu denen Unzufriedenheit geäußert wurde: Marken wie Bruckner oder Stifter werden zu wenig gepflegt, die Marke “Linz, verändert” wird von den Kultureinrichtungen zu wenig gelebt und transportiert, Verkürzungen im Stadtmarketing (z. B. auf Industrie – Kultur – Natur), Entwicklung des Brucknerfestes, zu starke Konzentration nur auf die Ars Electronica, einzelne Verbindungen funktionieren noch nicht ausreichend (Kultur – Schule, Kunst – Wissenschaft, Kultur – Wirtschaft), Potenziale im Bereich der Kreativwirtschaft werden noch zu wenig genutzt, fehlende Entwicklung der Galerienszene, niedriges Niveau der lokalen Printmedien, Zurückdrängen von Neuer Musik, zu geringe Anstrengungen im Kinder- und Jugendkulturbereich, Fehlen von großen Pop- und Rockkonzerten, ungünstige Mietkostenregelung bei der Nutzung von Volkshäusern durch Vereine, Zurückdrängen der Wirtshauskultur, zu starke räumliche Zentralisierung des kulturellen Angebots, fehlende universitäre Auseinandersetzung mit Bildliteratur, Potenziale der Literatur sind noch nicht ausgeschöpft, nach wie vor getrennte Publikumsschichten bei Veranstaltungen des Landes Oberösterreich und der Stadt Linz
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