4.9 Zukunft Linz: Interkulturalität, Tabakfabrik, Neue Medien, junge Potenziale, Partizipation, Stadtreflexionen und das liebe Geld

Linz steht aus kultureller und künstlerischer Perspektive vor vielfältigen Herausforderungen. Entsprechend umfangreich sind die Antworten der 73 interviewten Persönlichkeiten aus dem Kunst- und Kulturfeld auf die Frage, welche Zukunftsthemen es sein werden, denen sich die Stadt stellen wird müssen. Grundsätzlich geht es dabei durchgängig um die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen, um die Nutzung vorhandener und Entdeckung neuer Potenziale und um das Ermöglichen von Entwicklungen.

Das erste Mega-Thema ist dabei jenes von Migration und Interkulturalität. Die Frage, in welcher Form Migrant_innen in das kulturelle Leben der Stadt miteinbezogen werden können, wie eine echte Teilhabe hergestellt werden kann (zwischen Partizipation, affirmative action und antirassistischer Kulturarbeit) und wie die verschiedenen, in Linz lebenden Kulturen am besten öffentlich gemacht werden können, beschäftigt die Interviewpartner_innen am meisten. Vereinzelt werden auch verbundene Themen angesprochen, etwa die Frage nach der Neuentdeckung von Heimat (Identitätsdiskurs), die Frage nach der Vielfalt der Religionen (Islamdiskurs) oder allgemein die Schaffung eines offenen und toleranten Klimas in der Stadt, jenseits von Stigmatisierung und Kriminalisierung (Sicherheitsdiskurs). Wichtig erscheint, dass Interkulturalität als Querschnittsmaterie aufgefasst wird und es zur Selbstverständlichkeit werden muss, dass Migrant_innen an allen kulturellen Formen und Formaten in Linz teilhaben.

Als zweites Mega-Thema kann der Themenkomplex Leerstände und Tabakfabrik identifiziert werden. Zum einen geht es dabei um die Möglichkeiten der Nutzung von Leerständen (und Brachen) in der Stadt für künstlerische und kulturelle Zwecke, zum anderen darum, in welcher Form es möglich ist, bereits bei der Nutzungsplanung von Leerständen mitzugestalten. Virulent werden diese Fragen anhand des derzeit größten städtischen Leerstands, der Tabakfabrik, wobei aus den Interviews klar wird, dass Kunst und Kultur eine bedeutende Rolle bei der Nutzung dieses Areals einnehmen sollen.

Oft genannt wird einer der vier Schwerpunkte des ersten KEP, nämlich Technologie und Medien. Mehrere Herausforderungen verbinden sich mit diesem Themenkomplex, etwa der Umgang mit den Auswirkungen eines veränderten Nutzungsverhaltens von Medien, das Ausreizen der Potenziale von Freien Medien, der Aufbau und die Weiterentwicklung einer unabhängigen Medienszene abseits der Ars Electronica in Linz, die Unterstützung der Bestrebungen rund um den Themenbereich Open Source (z. B. Open Commons Region Linz) oder allgemein die Förderung der künstlerischen Auseinandersetzung mit Neuen Medien (Kunst und Web x.0).

Die nachfolgende Generation spielt in den Überlegungen der Interviewpartner_innen ebenfalls eine bedeutende Rolle und zwar in zweifacher Hinsicht. Zum einen geht es darum, den jungen Menschen in der Stadt ein ausreichendes kulturelles Angebot zu bieten (Kinderund Jugendkultur) und umfassend Zugänge für eine kulturelle Auseinandersetzung zu schaffen (Stellung in der Gesellschaft reflektieren, Orientierung geben, Hinterfragen von Konsumhaltungen ermöglichen). Zum anderen betrifft dies den engeren Bereich der künstlerischen Produktion und die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für junge Künstler_innen in der Stadt (Verhindern von Abwanderung, Aufsetzen gut dotierter Stipendienprogramme, Schaffen von Artikulationsmöglichkeiten).

Ein fünfter Themenkomplex steht mit den bisher genannten in enger Verbindung bzw. ist integraler Bestandteil dieser. Die grundsätzliche Frage, wie eine möglichst weitgehende Partizipation am kulturellen Geschehen ermöglicht werden kann, eröffnet eine ganze Reihe weiterer Fragen. Welche Rolle spielt der im ersten KEP festgeschriebene Schwerpunkt “Kultur für Alle” in der Zukunft? Was bedeutet Demokratisierung der Kultur in diesem Zusammenhang? Welchen Beitrag kann Kulturarbeit an der Basis dazu beitragen, um die kulturelle Teilhabe benachteiligter Bevölkerungsgruppen zu erweitern? Welche Beteiligungsmodelle benötigt es? Wie geschieht die Einbindung in Entscheidungsstrukturen? Wie weit muss/soll/darf Transparenz bei Entscheidungsprozessen gehen? Wie gelingt eine breite Aktivierung von bislang an Kunst und Kultur eher desinteressierten Bürger_innen?

Relativ häufig werden von den Interviewpartner_innen Gedanken vorgebracht, die mit Stadtentwicklung zu tun haben. Als Herausforderung wird dabei insbesondere gesehen, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass Kunst und Kultur einen wesentlichen Beitrag zur Lebensqualität einer Stadt liefern und als integraler Bestandteil von Stadtentwicklung zu verankern sind. Auch hier finden sich mehrmals reflexive Fragen in den Interviews: Was ist die Stadt? Was kann man bewirken? Was braucht die Stadt? Was wollen wir von der Stadt? Was geben wir der Stadt? Was bietet uns die Stadt? Welches Klima braucht eine Stadt wie Linz, um für Künstler_innen und Kulturarbeiter_innen attraktiv zu sein?
Welche Zukunft hat eine Stadt wie Linz überhaupt in einer postindustriellen Gesellschaft? In mehreren Interviews wird die zukünftige Finanzierung des Kunst- und Kulturbereichs als große Herausforderung für die Stadt bezeichnet. Die grundsätzliche Klärung der finanziellen Situation spielt hier ebenso eine Rolle wie Fragen nach einer gerechten Verteilung der vorhandenen Mittel oder Mechanismen der Fördervergabe (Transparenz).

Als weitere Themenbereiche, die zukünftig relevant erscheinen, werden ferner genannt:

  • Raumbedarf: Werkstätten und Labore (auch um kreativ Tätige von außen anzulocken), dynamische und wechselnde Produktionsstätten mit offenem Charakter.
  • Diskurs: Möglichkeiten zur Reflexion über künstlerische und kulturelle Produktion, Diskussion über Relevanz von Kunst und Kultur, Nutzung existierender Medien für kritische Diskussionen.
  • Positionierung: Klare Positionierung (Wofür steht die Kulturstadt Linz?), Positionierung durch/trotz Vielfalt, Identifikation mit Kulturstadt Linz, Bewusstsein für Kunst und Kultur in Bevölkerung und Politik heben, Sichtbarkeit des Kleinen in der Vielfalt.
  • Gleichstellungspolitik: Gleichbehandlung von Menschen unterschiedlicher Herkunft, von Frauen und Männern sowie von Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung.
  • Sicherheit: Vermeidung von prekären Arbeitsbedingungen, Absicherung von Künstler_innen und Kulturarbeiter_innen im Alter.
  • Gesellschaftlicher Auftrag: Kunst als kritischer Beitrag zu gesellschaftlicher Entwicklung, Verbindungen zwischen Kunst und Politik (z. B. künstlerische Interventionen zur neuen Arbeitsgesellschaft, zur Krise des Kapitalismus, zur Erneuerung solidarischer Zusammenhänge oder zu Fragen der Biopolitik), ökologische Fragestellungen (z.B. die grüne Stadt, erneuerbare Energien, Clean Technologies, …), soziale Funktionen von Kunst und Kultur (z. B. Umgang mit der älteren Bevölkerung)
  • Bund – Land – Stadt: Kommunikation zwischen den jeweiligen Verwaltungsebenen
  • Formate: Gemeinsame Weiterentwicklung bestehender und Entwicklung neuer Festivals jenseits von Eventkultur
  • Häuser: Entwicklung des neuen Musiktheaters, Entwicklung des Brucknerhauses, Programmierung der öffentlichen Kultureinrichtungen durch die Künstler_innen der Stadt, Öffnung der Häuser für die Freie Szene
  • Vermittlung: Institutionenübergreifende Kunst- und Kulturvermittlung, Vermittlungsangebot außerhalb der Häuser (z. B. in Schulen).
  • Kulturelle Bildung: Kultur für die nächste Generation als Weiterentwicklung von “Kultur für Alle”, Kooperationen zwischen Kultureinrichtungen und Schulen, Kunst im Lehrangebot, Kreative Bildung
  • Stadtteile: Aufteilung von Kultur über den Stadtraum, Entwicklung von Stadtteilkulturarbeit, Reflexion von Zentrum vs. Peripherie
  • Öffentlicher Raum: Kunst und Kultur im öffentlichen Raum, Bespielung und Möblierung, Weiterentwicklung von Kunst am Bau, Nutzung des öffentlichen Raums abseits von Herrschaftsansprüchen.
  • Gestaltung: Alltagsästhetik im urbanen Raum (entgegen einer Überfrachtung),
    qualitativ hochwertige Architektur in der Stadt, Umgang mit Bausubstanz und
    Denkmälern, architektonische Neupositionierung
  • Wissenschaft: Neue Verbindungen zwischen Kunst und Wissenschaft, Stärkung der geistes- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen in der Stadt (als Gegengewicht zur naturwissenschaftlich-technischen Orientierung), kulturtheoretische Auseinandersetzungen, Think Tank als zusätzliches Ausbildungsforum für junge Künstler_innen.
  • Geschichte: Zeitgeschichtliche Auseinandersetzung mit Linz (Faschismus, Nationalsozialismus, Wandel zur Kulturstadt, Mythos Stahlstadtkinder, Linz09, …), Verbindungen zwischen Stadtforschung und Schule.
  • Industrie: Linz als moderne Industriestadt, Industrielle Forschung und Entwicklung (mit Verbindungen zu Design).
  • Wirtschaft: Stärkung der Kreativwirtschaft, Kulturwirtschaft als ökonomischer
    Faktor, Entwicklungsbedingungen für kreative Milieus.
  • Interdisziplinarität: Gemeinsame Meta-Themen finden (z. B. Akustik in der Stadt, Gestaltung des urbanen Raums, Natürliche Umgebung von Linz mit Grün- und Wasserflächen, nationalsozialistische Vergangenheit von Linz, …), gemeinsame Dramaturgie und neue Marken entwickeln.
  • Kooperation: Vernetzung und Kooperation der öffentlichen Kultureinrichtungen
    (auch über gemeinsame Vermittlungsangebote), Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Kultureinrichtungen und Freier Szene, Wechselwirkungen zwischen öffentlichen und privaten Playern (z. B. Lentos und Galerien in der Stadt).
  • Organisationsstrukturen: Hierarchien im Kulturbereich, Verwaltungsabläufe (Transparenz), Organisation der städtischen Kultureinrichtungen (Kultur-Holding)
  • Internationale Qualität: Spannungsfeld zwischen internationalem und lokalem Arbeiten, internationale Partnerschaften, Nutzen von Außenbeziehungen, Lernen von Best Practices, Qualitätsansprüche in der künstlerischen und kulturellen Produktion
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