Julius Stieber

Geburtsjahr, Geburtsort?

Julius Stieber: 1966 in Linz.

Du lebst seit wann in Linz?

Julius Stieber: Seit 1990.

Welche kunst- und kulturbezogenen Aktivitäten und Funktionen übst du derzeit aus?

Julius Stieber: Ich bin Kulturdirektor der Stadt Linz, bin im Aufsichtsrat von AEC und LIVA. Das sind im Prinzip jene Funktionen, die ich derzeit habe. Als Kulturdirektor habe ich auch die Musikschule, den Wissensturm, die Museen und das Amt Schule und Sport in meiner Geschäftsgruppe. Die Linz Kultur leite ich als Dienststelle selbst.

Gibt es in Bezug auf die vorhandene räumliche und technische Infrastruktur aktuell einen Handlungsbedarf, d. h. den Wunsch nach quantitativer Erweiterung oder qualitativer Verbesserung?

Julius Stieber: Da im Büro Linz Kultur? Also am ehesten im Bereich Marketing, dass ich da meine … das wäre aber eine personelle, keine räumliche Erweiterung.

Nein, eher räumliche oder technische Infrastruktur.

Julius Stieber: Nein.

Der Hauptblock handelt von der kulturellen Entwicklung, der aktuellen Situation und der Zukunft von Linz. Als Einstieg ein kurzes Assoziationsspiel: Welche Begriffe fallen dir ein, wenn du an „Kulturstadt Linz“ denkst?

Julius Stieber: Ich würde sagen, modern, zukunftsorientiert und gesellschaftskritisch.

Wenn du die letzten zehn Jahre, also die Jahre ab der Jahrtausendwende bis jetzt betrachtest: Was lief deiner Meinung nach besonders gut in der kulturellen Entwicklung der Stadt Linz?

Julius Stieber: Also was ich vor allem aufgrund meiner Tätigkeit beim Land immer positiv gesehen habe in den letzten zehn Jahren, das war, wie die Stadt Linz mit dem Thema Gender Mainstreaming umgeht, also überhaupt mit der Gender-Frage, was im Förderbereich insbesondere auch Transparenz betrifft, dass man das ausweist. Und was die gendergerechte Zusammensitzung der einzelnen Gremien betrifft, sei es Stadtkulturbeirat oder Jurys, da hat Linz sicher Vorbildfunktion und auch Einiges weitergebracht. Das Zweite sind, auch im Förderbereich Linz Kultur, die Drei-Jahres-Förderungen, wo Linz sicher den richtigen Schritt gesetzt hat und weit vor anderen öffentlichen Gebietskörperschaften liegt. Fortschrittlich ist Linz auch im Bereich der neu geschaffenen Sonderförderprogramme. Das ist eine Entwicklung, die ich als sehr positiv für die Freie Szene einschätze, und die, glaube ich, eine Transparenz und Objektivität ermöglicht hat, die eine Emanzipation der Fördervergabe von politischen Vorgaben gewährleistet. Das ist absolut vorbildlich. Grundsätzlich halte ich bei der Fördervergabe den Mix aus Juryentscheidungen, Dreijahresverträgen und Verwaltungsentscheidungen für sehr konstruktiv und im Sinne der Förderwerber. Was mich in den letzten zehn Jahren an der städtischen Kulturarbeit auch überzeugt hat, ist, dass seitens der Stadt sehr konsequent an größeren Kulturprojekten, wie Lentos, Wissensturm und AEC neu gearbeitet wurde. Das heißt, es hat rasche Entscheidungen gegeben, man hat diese Entscheidungen durchgezogen, auch gegen die Volksmeinung, siehe Lentos, mit dem positiven Effekt, dass nachher eine große Identifikation mit den Kulturbauten seitens der Bevölkerung da war. Das finde ich prinzipiell einmal gut und richtig, weil im Kulturbereich wird man nie eine Mehrheit für solche Projekte bekommen. Und dito war das beim Kulturhauptstadtjahr. Auch da hat man sich klar bekannt, ohne Wenn und Aber, und hat das konsequent durchgezogen, ohne nach Links oder Rechts zu schielen, vor allem die öffentliche Meinung und die Medien betrifft. Das finde ich wichtig. Also ich glaube, dass gerade in den letzten zehn Jahren Linz einen sehr großen Sprung gemacht hat und sowohl international als auch national sehr gut dasteht.

Wenn man sich die andere Seite der Medaille anschaut: mit welchen kulturellen Entwicklungen in den letzten zehn Jahren bist du überhaupt nicht zufrieden?

Julius Stieber: Ich glaube, was Linz sicher – aber da steht Linz nicht alleine da – verabsäumt hat, ist, den Bereich der Migrationspolitik zeitgerecht anders auszurichten. Es ist noch nicht zu spät, aber natürlich sind damit einige Versäumnisse verbunden, und einige negative Entwicklungen hätte man schon abwenden können oder diesen gegensteuern können, wenn man sich früher zu diesem Thema bekannt hätte und auch aktiv Politik gemacht hätte. Das betrifft generell alle Bereiche der Migrationspolitik, aber aus meiner Sicht natürlich auch den Kulturbereich. Was ich auch immer als Defizit in Linz gesehen habe, ist die Kinder- und Jugendkultur. Da ist sehr halbherzig agiert worden. Die Einrichtungen, die man unterstützt, selbst das Kuddelmuddel, sind sehr schlecht dotiert, da gibt es kein klares Bekenntnis, das habe ich nie für gut befunden. Und da meine ich jetzt nicht nur Kinder-, sondern auch Jugendkultur. Das Angebot, aber auch der Partizipationsaspekt wären da ganz wichtig. Was ich mir generell wünschen würde, wo ich auch ein bisschen ein Defizit sehe ist, dass sich Linz, obwohl es sehr viele Einrichtungen im zeitgenössischen Kunstbereich hat, trotzdem sehr schwer tut mit der zeitgenössischen Kunst.

Inwiefern?

Julius Stieber: Für innovative, internationale Strömungen besteht bei einem Teil der Politik, aber auch in der Öffentlichkeit, ich meine jetzt bei den Medien, aber auch bei den potenziellen Besuchern, wenig Wissen und wenig Offenheit. Das ist eigentlich das, was ich wahrnehme. Ein Beispiel: Es kommt heuer eine große Ausstellung ins Lentos, Gilbert & George, und wenn man sich umhört, kennt kaum jemand dieses Künstlerpaar, auch bei Journalisten sind die praktisch unbekannt. Ich habe vor kurzem erfahren, dass in den Hamburger Deichtorhallen die Ausstellungseröffnung von Gilbert & George gestürmt wurde, 1.000 Besucher. Die haben gar nicht mehr gewusst, wie sie das bewältigen sollen. Und 24 internationale Radio- und Fernsehteams sind zur Eröffnung gekommen. Da hinkt Linz einfach hinten nach, trotz der Kulturhauptstadt. Also was die Kenntnisse, die Bereitschaft betrifft, sich mit internationalen, zeitgenössischen Kunstströmungen auseinanderzusetzen, da kommt mir ein bisschen vor, dass man da noch so in den 1970er-, 1980er-Jahren stehen geblieben ist. Wo auch mehr drinnen wäre, wo Linz nicht ganz hinten nach hängt, aber wo wirklich mehr drinnen wäre, ist, dass man eine stärkere Teilhabe bei Entscheidungen über Großprojekte ermöglichen – ich denke jetzt vor allem an die Tabakfabrik, aber auch an andere Projekte – dass man da eine größere Offenheit und Transparenz an den Tag legen könnte. Das ist die Kehrseite dieser konsequenten und raschen Durchführung von großen Kulturprojekten, dass oft mangelnde Transparenz herrscht und mangelnde Bereitschaft, auch nichtstädtische Experten beizuziehen.

Wenn man etwas über den Tellerrand von Linz hinausblickt. Was mich interessieren würde, ist einen Vergleich herzustellen zu ähnlichen Städten wie Salzburg, Innsbruck, Graz, nicht Wien. Wo kann deiner Meinung nach Linz in diesem Städtewettbewerb punkten?

Julius Stieber: Linz punktet sicher, aber das ist fast schon ein Marketinggemeinplatz, mit seiner Orientierung auf die Gegenwart. Wir haben nicht so einen historischen Ballast mitzuschleppen wie die ehemaligen Residenzstädte Graz und Salzburg. Wir gehen daher mit der gebauten Substanz in der Stadt anders um, das heißt wir forcieren die zeitgenössische Architektur und auch Einrichtungen, die sich mit zeitgenössischer Kunst und Kultur auseinandersetzen. Das ist, glaube ich, auch die Modernität und die Offenheit und Zukunftsorientiertheit der Stadt. Wir setzen auch auf Themen, die in die Zukunft reichen, wie zum Beispiel Neue Medien und Technologie, also rund um das AEC. Linz hat auch einen Kulturentwicklungsplan mit einem Schwerpunkt zu offenen Räumen, die ja sehr weit definiert sind, wo auch Open Source usw. inkludiert sind. Linz hat vor allem zur Kunst im öffentlichen Raum ein Bekenntnis abgelegt, das uns auch, glaube ich, in der Deutlichkeit unterscheidet von Graz und Salzburg, auch wenn es nicht immer so gelebt wird. Wo Linz noch viel mehr tun müsste, da vergleiche ich jetzt vor allem mit Graz, das ist die Unterstützung und Entwicklung eines kreativen Milieus. Das heißt ganz konkret: Wir haben zwei international sehr gut aufgestellte Kunstuniversitäten, die Kunstuniversität Linz und die Bruckneruniversität, es gibt aber kaum Überlegungen, wie man das Potenzial, das da entsteht, und die Studienabgänger in der Stadt behalten kann, zumindest einen größeren Teil als derzeit. Da gab es eigentlich kaum Überlegungen dazu in der Vergangenheit, und das ist etwas, wo Graz ganz anders aufgestellt ist. Da merkt man, das ist eine junge Stadt, die ist auch fähig, junge, kreative Köpfe in der Stadt zu halten. Da meine ich jetzt nicht nur Künstler oder Kulturschaffende. Das gelingt Linz nur bedingt, aus unterschiedlichen Gründen, muss man dazu sagen, aber es gelingt nur bedingt. Das hat auch mit dem Universitätsstandort Linz zu tun. Graz hat nahezu eine Volluniversität, Linz nicht. etc. Was ich auch durchaus immer sympathisch gefunden habe, ist, dass Linz bis jetzt zumindest nicht auf ein total großes Kulturhighlight gesetzt hat wie zum Beispiel Salzburg, wo es hauptsächlich die Salzburger Festspiele gibt und sonst nichts. Linz hat da immer auf Vielfalt gesetzt, mit allen Nachteilen. Im touristischen Bereich ist das sicher ein Nachteil, wenn man nicht das große Highlight hat, aber das war mir immer sympathisch.

Inwieweit denkst du, dass Linz international als Kulturstadt wahrgenommen wird? Und welche geografische Reichweite hat die internationale Wahrnehmung deiner Meinung nach?

Julius Stieber: Da muss man deutlich unterscheiden zwischen Linz vor der Kulturhauptstadt und Linz nach der Kulturhauptstadt. Linz vor der Kulturhauptstadt ist sicher international hauptsächlich über Ars Electronica und den Prix Ars Electronica wahrgenommen worden, wenn man jetzt global denkt, und teilweise sicher über das Lentos Kunstmuseum, aber da ist, würde ich mal sagen, die Wahrnehmung eher auf den deutschsprachigen Raum beschränkt. Was natürlich auch bekannt ist, zumindest im deutschsprachigen Bereich, ist Linz und der Nationalsozialismus. Das spielt teilweise auch in die Kultur hinein, wobei sich ja Linz immer zu seiner nationalsozialistischen Vergangenheit klar bekannt hat und auch sehr viel punkto Aufarbeitung getan hat. Die Bewertung der Kulturhauptstadt muss man, glaube ich, differenziert angehen. Man darf jetzt nicht in einen Größenwahn verfallen und das überbewerten, aber dass Linz sozusagen mehr ist als Ars Electronica, das hat sich schon herumgesprochen. Dass Linz eine moderne, offene, zukunftsorientierte Kulturstadt ist und nicht nur Industriestadt, das hat sich auch herumgesprochen. Und dass es Linz überhaupt kulturell auf der Landkarte gibt, ist jetzt vor allem in kulturinteressierten Kreisen viel mehr in den Köpfen drinnen als vorher. Da glaube ich also schon, dass Linz auf europäischer Ebene gewonnen hat, wahrnehmbarer wurde und auch eine mögliche Destination für Kulturtouristen geworden ist. Der Anspruch ist also gewesen, eine Second City zu werden und die Kulturhauptstadt war da schon ein Schritt in diese Richtung, wenngleich man sich jetzt nicht aufs Ruhekissen legen darf, weil sonst ist das ganz schnell wieder vorbei, sondern man muss da auch mit allen verfügbaren Mitteln nachhaken.

Stichwort Linz09. Du beschreibst das in einer gewissen Art und Weise als Zäsur, was die internationale Wahrnehmung anbelangt. Drei Punkte als Resümee zu Linz09?

Julius Stieber: Linz09 hat erstens die Köpfe, das Bewusstsein verändert und vor allem die Risikobereitschaft für Neues unterstützt und vorgelebt. Das ist für mich ein ganz wesentlicher Punkt, neue Formate zu probieren und zu riskieren wie Bellevue, wie Kepler Salon. Das ist für mich der wichtigste Aspekt von Linz09, dass man zu diesem Risiko bereit war. Das Zweite ist, dass Linz09 sicher eine Internationalisierung im Denken und Handeln der hier Agierenden geschafft hat, das heißt, dass man sich im europäischen Kontext erlebt hat, indem man eben über den eigenen Tellerrand geschaut hat, viele Künstler aus Europa und anderen Kontinenten nach Linz gekommen sind und sich hier auch länger aufgehalten haben. Das war etwas ganz Wichtiges, dass dieses Schrebergartendenken überwunden wurde, das teilweise vorher geherrscht hat. Das Dritte ist, dass die Kulturakteure – insbesondere natürlich die städtischen und landeseigenen Institutionen – und der Tourismus, also Linz Tourismus, näher zusammengerückt sind, das als gemeinsames Projekt verstanden und auch gemeinsam agiert haben. Das ist eine nachhaltige Wirkung, die sich zwar nicht für die Kulturakteure in der Freien Szene so wahrnehmbar positiv auswirken wird, aber die für Linz als Stadt viel bringen wird und wo Linz09 einfach ein Beschleuniger war. Erstens weil die Intendanz sehr großen Wert darauf gelegt hat, und weil eben die Akteure, die Beteiligten gesehen haben, was da möglich ist, also wie erfolgreich man agieren kann, wenn man die Zusammenarbeit mit dem Tourismus sucht.

Wie schätzt du das Verhältnis von Hochkultur – Subkultur – Volkskultur in Linz ein?

Julius Stieber: Das bestimmt natürlich der jeweilige Standort die Meinung, das heißt letztlich die Frage, wo man sich platziert und wo man lebt und wie man die Stadt kulturell erlebt. Ich denke schon, dass sich in den letzten 10 bis 15 Jahren eine Verschiebung in Richtung Hochkultur ergeben hat, aufgrund des Investments in die hochkulturelle Infrastruktur. Das heißt, Linz hat da gewaltig, wenn man es positiv formuliert, gegenüber anderen Städten aufgeholt. Gleichzeitig hat jedoch der Subkulturmythos, der sich in den 1970er- und 1980er-Jahren in Linz begründet hat, mit der Stadtwerkstatt etc., natürlich anteilsmäßig verloren, das ist keine Frage. Das drückt sich auch in Budgetzahlen aus. Das kann man auch in Zahlen gießen und nachweisen. Aber Linz ist nach wie vor für mich auch eine Stadt der Subkultur. Vor 20 Jahren hätte ich das noch anders formuliert. Da hätte ich noch gesagt, Linz ist Stadtwerkstatt und Musikszene und Phönix und so. Jetzt formuliere ich das anders. Jetzt sage ich, Linz ist Lentos und AEC und dann erst kommt die Subkultur. Aber nach wie vor gehört sie zur Identität der Stadt und ist wichtiger Teil des städtischen Kulturlebens. Die Volkskultur spielt hingegen aus meiner Sicht eine eher marginale Rolle, wobei da natürlich Aktive aus der Volkskultur vielleicht eine andere Sicht haben. Aber für mich ist das auch nicht die Hauptaufgabe der Stadt, da etwas zu machen, weil das urbane Umfeld Volkskultur in einem anderen, einem städtischen Kontext sehen muss. Und da fragt man sich halt, ob das noch Volkskultur ist. Aber das ist sicher das, was ich am wenigsten mit Linz verbinde.

Wenn du einzelne künstlerische Disziplinen wie Malerei und Grafik, Tanz, Theater, Musik, Literatur, Film, Fotografie usw. betrachtest: Wo würdest du meinen, wäre in der Stadt noch Entwicklungspotenzial vorhanden?

Julius Stieber: Da fällt mir der Tanz ein, weil wir eine europaweit anerkannte Ausbildungsstätte an der Bruckneruniversität haben, wo ganz tolle Leute in alle Welt ausschwärmen und erfolgreich sind. Also da denke ich mir, dass im Tanzbereich viel zu wenig getan wird und da ein großes Potenzial drinnen liegen würde. Wenn man sozusagen, nachgeordnet zur Bruckneruniversität, eine entsprechende Infrastruktur und Angebote für Studienabgänger aufbauen würde. Ich glaube außerdem, dass im Theaterbereich mehr drinnen wäre als aktuell. Linz ist da nicht so schlecht aufgestellt, aber mir fehlt gerade im Off-Theaterbereich eine breite Qualität. Da haben wir vielleicht drei oder vier Player, die ernst zu nehmen sind. Da wäre bestimmt mehr drinnen, aber das hängt auch von den finanziellen Ressourcen ab, die man zur Verfügung stellt. Im Musikbereich glaube ich, dass Linz eine hervorragende Infrastruktur hat, aber dass die Undergroundszene oder die Alternativszene oder wie auch immer man das heutzutage bezeichnen soll, das ist ganz schwierig da einen Begriff zu finden, im letzten Jahrzehnt sehr stark abgebaut hat. Warum das so ist, kann ich nicht beantworten. Für die subkulturelle Musikszene war Linz einmal berühmt und berüchtigt, und das ist fast Historie, bis auf ein paar Player, die aber mittlerweile auch schon älter sind. Das ist eigentlich etwas, das ich schade finde. Ich glaube aber, dass prinzipiell großes Potenzial da wäre. Kann sein, dass es sich verlagert hat, in den elektronischen Bereich, den ich nicht so beobachte, aber richtig etwas Starkes und Großes nehme ich da auch nicht wahr. Also so wie Wien die Elektronik-Hauptstadt Österreichs oder überhaupt Mitteleuropas war, da gibt es in Linz nichts Vergleichbares. Wo wir sehr gut aufgestellt sind, ist der bildende Kunstbereich, auch durch die Kunstuniversität. Da tut sich sehr viel, da ist die Infrastruktur sehr gut ausgebaut, so wie in der hochkulturellen Musik. Das Thema Film ist meiner Meinung nach mit Crossing Europe und den innerstädtischen Programmkinos gut abgedeckt, aber ich glaube nicht, dass Linz das Potenzial hat, Filmhauptstadt zu werden. Also das wäre, glaube ich, verfehlt, den Weg zu verfolgen.

Welche drei thematischen Schwerpunkte mit Kunst- und Kulturbezug werden zukünftig die größten Herausforderungen für die Stadt darstellen? Begründen bitte deine Einschätzung kurz.

Julius Stieber: Bei mir steht ganz oben das Migrationsthema, weil es ein gesellschaftspolitisches Thema und ein Zukunftsthema ist. Wie schaffen wir das Zusammenleben mit den Menschen, die einen migrantischen Hintergrund haben? Das ist eine der entscheidenden Fragen unserer Zeit und unserer Gesellschaft und da ist natürlich auch das kulturelle Feld betroffen. Das Zweite ist: Wie können wir mehr Demokratie und Transparenz in die Entscheidungsstrukturen bringen? Da haben wir schon ein paar Schritte geschafft. Aber das ist für mich nach wie vor ein spannendes Thema, partizipative Elemente auszubauen im Kulturbereich, Beteiligung und Betroffenheit schaffen. Das ist etwas, was ich nicht nur mit der Freien Szene in Verbindung sehe, sondern auch mit den Institutionen, auch für die Museen gilt das oder fürs AEC. Wie schafft man Beteiligung und Betroffenheit? Und was ich auch noch ganz wichtig finde, das ist mein Steckenpferd, dass man die Kinder- und Jugendkultur einfach ernster nimmt, nicht nur weil Kinder und Jugendliche die Zukunft sind, die nächste Generation, sondern weil die hier und heute ein Recht auf qualitative Kunst- und Kulturangebote haben.

Zu den einzelnen Themenbereichen. Zuerst zu Interkulturalität, Migration und Integration. Wie schätzt du die Entwicklung der migrantischen Kulturarbeit in Linz in den letzten zehn Jahren ein?

Julius Stieber: Nicht zufriedenstellend. Es gibt in der migrantischen Community, das habe ich während meiner Arbeit am Kulturleitbild Oberösterreich mitbekommen, eine große Diskussion, was eigentlich förderungswürdig ist und was nicht, was zukunftsträchtig ist und was nicht. Dabei gibt es einen recht traditionell und folkloristisch ausgerichteten, auf die Community selbst bezogenen Bereich der migrantischen Kulturarbeit, der natürlich für Menschen, die ihr Land verlassen haben, ganz wichtig ist. Es hat schon seine Berechtigung, aber es ist sicher nicht das, was für mich das Ziel der migrantischen Kulturarbeit und der Migrationskulturpolitik sein kann. Aber das ist ein Bereich, der durchaus dominiert, also wo es Infrastruktur gibt, wo die Volkshäuser dazu zur Verfügung gestellt werden, für polnische, kroatische oder türkische Kulturgruppen, wo sie ihre Feste machen können. Das ist alles wichtig, aber es hat sich hauptsächlich auf das fokussiert. Und die emanzipatorischen Projekte, die aus der migrantischen Community kommen, das sind gar nicht so viele. Das ist sogar eher so, dass die Mehrheitsbevölkerung etwas in diese Richtung übernimmt. Solche Projekte müssten eigentlich mehr unterstützt und gefördert werden. Da geht es dann einfach nicht nur um eine Reproduktion dessen, was man mitgenommen hat, sondern auch um eine Auseinandersetzung mit dem konkreten gesellschaftlichen Umfeld, mit Fragen, die politischer oder sozialer Natur sind und wo ein Dialog zwischen der Mehrheit der Bevölkerung und der Minderheit entstehen kann. Das wäre für mich die Richtung, und in diesem Bereich passiert viel zu wenig.

Aus deiner Sicht, mit welchen besonderen Problemen sind MigrantInnen im Kunst- und Kulturbereich in Linz konfrontiert?

Julius Stieber: Wenn es nicht ganz starke künstlerische Persönlichkeiten sind, die es natürlich gibt, können sie sich kaum Gehör verschaffen. Sie sind selbst in der alternativen Kulturszene nicht wirklich oder nur zum Teil integriert. Sie haben kaum Möglichkeiten, ihre Anliegen selbst zu vertreten, oft werden sie vertreten und nicht selbst vertreten. Das ist auch ein Problem. Es gibt bürokratische Hürden, denn viele Informationen werden nur in deutscher Sprache angeboten und nicht zumindest in einer anderen Sprache auch. Das ist eine Zugangsbeschränkung, letztlich zu Informationen und Ressourcen, die dahinter stecken. Und es gibt einfach auch ein Gefälle. Das ist eigentlich in vielen Köpfen drinnen, dass man im Prinzip die migrantische Kultur nicht auf dem gleichen Level wie die eigene Kultur sieht. Das ist etwas, das sich durch alle Bereiche wie Medien, Politik und öffentliche Wahrnehmung durchzieht und sich dann auch in der Förderpolitik niederschlägt. Und auch in der Programmierung der Häuser, der Kunsthäuser beispielsweise. Wann sieht man wirklich osteuropäische Kunst in der Stadt, wo sieht man türkische Künstler? Das war eine löbliche Ausnahme im Kulturhauptstadtjahr, Kutlug Ataman im Lentos, wo man in dieser Stadt wirklich erleben hat können, dass türkische Kunst auf der Höhe der Zeit agiert. Das ist ein ganz wichtiges Signal, das aber kaum gesetzt wird, weil man damit auch keine Quote machen kann. Es interessiert einfach niemanden. Mit dem haben die Migranten, wenn man jetzt in die Niederungen der normalen Kulturarbeit geht, auch in ihrem Umfeld zu kämpfen. Das ist so, dass man das nicht als gleichwertig betrachtet und teilweise auch gar nicht als interessant, also von der Mehrheitsbevölkerung. Da müsste die Politik gegensteuern, das ist eine klassische Aufgabe der Politik, der öffentlichen Verwaltung, aber da tut sich zu wenig.

Wie würdest du die Verbindungen zwischen den verschiedenen migrantischen Kultureinrichtungen in Linz beschreiben?

Julius Stieber: Da gibt es, glaube ich, nicht wirklich viele Verbindungen. Es gibt Bemühungen seitens einiger Dachorganisationen, die ich für sehr gut finde, unter anderem vom Verein migrare, aber die sind nicht auf Kulturvereine im Speziellen ausgerichtet. Letztlich ist meine Wahrnehmung aber die, dass sich die migrantischen Communities voreinander abschotten und viele nicht miteinander können. Da gibt es wieder Vorurteile und Ressentiments untereinander, das ist einfach ein Faktum.

Braucht es deiner Meinung nach überhaupt diese Verbindungen?

Julius Stieber: Gemeinsam ist man immer stärker, das ist ganz klar. Das ist ja die große Schwäche wahrscheinlich auch der migrantischen Community, dass sie zersplittert ist in einzelne Ethnien oder Nationalitäten und damit nicht gemeinsam Anliegen formulieren kann. Und dadurch kommt es oft dazu, dass andere, also die Mehrheitsbevölkerung, gut Gesinnte, für die migrantische Community sprechen. Wenn man aber politisch etwas erreichen will, dann muss man einen gemeinsamen Kampf führen, und der ist derzeit nicht möglich – eigentlich ein Nachteil, so sehe ich das.

Wie sieht es aus mit den Verbindungen zwischen migrantischen und nicht-migrantischen Kultureinrichtungen in Linz?

Julius Stieber: In den letzten zehn Jahren schlecht. Es tut sich jetzt aber seit zwei bis drei Jahren etwas. Es gibt durchaus in den Museen beispielsweise, das weiß ich vom AEC, vom Landesmuseum und vom Lentos, Bemühungen. Es sind noch ganz zarte Pflänzchen, in die Richtung etwas zu machen, dass man die Häuser auch für Menschen mit Migrationshintergrund öffnet und interessant macht. Es gibt Projekte, also projektbezogene Arbeit mit den Kulturlotsinnen, wo das AEC und das Schlossmuseum jetzt versuchen, ein Vermittlungsprogramm für ein migrantisches Zielpublikum aufzubauen, es gibt Bemühungen um Fremdsprachenangebote, also fremdsprachige Führungen. Es müsste aber auch auf die Inhalte übergreifen, nicht nur auf die Vermittlungsmodule. Da ist erst sehr wenig im Gange. Ich habe nicht den Eindruck, dass sich die Kultur und das Leben der Migranten wirklich in den Einrichtungen widerspiegelt, das ist absolut nicht mein Eindruck. Das ist sehr westeuropäisch nach wie vor dominiert. Es gibt ein Bewusstsein dafür, sagen wir es mal allgemein, dass man da etwas tun muss, aber es gibt nur sehr wenige konkrete Schritte in diese Richtung. Das ist im Bildungsbereich anders mittlerweile.

Auf die Stadt Linz bezogen, was müsste getan werden? Also welche Maßnahmen müsste die Stadt Linz setzen, um Interkulturalität zu fördern?

Julius Stieber: Nun, da müsste man mehr Einfordern seitens der Politik. Also durchaus Vorgaben machen, wie sich Häuser gegenüber dem Thema Interkulturalität und der migrantischen Bevölkerung verhalten sollen. Nur, da komme ich mit meinen eigenen Grundsätzen in Konflikt, weil ich natürlich der Meinung bin, dass sich Politik nicht in die Programmierung der Kulturhäuser einmischen soll, sondern das schon Sache der jeweiligen künstlerischen Leitung ist. Aber es würde helfen, das ist keine Frage. Das Zweite, wo die Politik schon etwas tun kann, ist im Bereich der Förderung. Da könnte man einfach einen eigenen Fördertopf einrichten, der entsprechend ausgestattet ist und migrantische Projekte unterstützt. Ich glaube, dass da Einiges auf den Weg zu bringen wäre. Wichtig ist, glaube ich, dass man die Sprachenkompetenz in den Einrichtungen ausbaut, dass man Migranten in die Verwaltung stärker integriert, also auch da die Repräsentanz stärkt und mehr Migranten aufnimmt. Da könnte also die öffentliche Hand, so wie beim Gender-Thema, vorbildlich sein und Quoten vorgeben. Da ist ein unmittelbarer Einfluss möglich und das würde sehr viel verändern, das ist überhaupt keine Frage.

Vom Themenbereich Interkulturalität zum Themenbereich Internationalität mit dem Zusatz Linz09. Inwieweit ist es deiner Meinung nach wichtig, dass sich Linz als internationale Kulturstadt positioniert?

Julius Stieber: Da gibt es unterschiedliche Gründe, ganz pragmatische Gründe, das hat mit der viel zitierten Standortfrage zu tun. Wenn man als Stadt erfolgreich sein will, vor allem auch im wirtschaftlichen Bereich, dann ist es notwendig, auf der internationalen Landkarte im Kulturbereich aufzuscheinen. Das ist jetzt kein idealistischer Grund, sondern ein ganz pragmatischer Grund, und das heißt Imagepflege zu betreiben für die Stadt, über die Kultur touristische Wertschöpfung zu erreichen und für internationale Konzerne und Unternehmen ein attraktiver Betriebsstandort zu sein. Das ist jetzt mal die rein pragmatische Geschichte, die für mich eine Rolle spielt, aber natürlich nicht die Hauptrolle, wenn ich Entscheidungen treffe. Das Zweite ist, dass ich glaube – das ist jetzt vielleicht ein bildungsbürgerlicher Ansatz oder was auch immer – dass es auch eine Frage der Qualität ist, dessen was kulturell und künstlerisch in der Stadt geschaffen wird, dass man sich nicht von internationalen Strömungen und Entwicklungen abkoppelt, gerade in Zeiten der Globalisierung und des Internets, sondern – und da sehe ich ein bisschen ein Defizit bei einem Teil der Kunst- und Kulturschaffenden vor Ort – dass man sich dem internationalen Wettbewerb stellt, neugierig ist, was wo anders passiert. Das heißt nicht, dass man das kopieren muss, dass es zu einer Nivellierung kommt, sondern dass man sich auseinandersetzt, dass man sich mit anderen Kulturen, mit anderen Formen des Wissens, des künstlerischen Zugangs auseinandersetzt und sich nicht immer nur die 10, 20 oder 30 Leute, die in der Stadt etwas weiterbringen, treffen und im eigenen Saft schmoren. Da glaube ich schon, dass das eine Qualitätsfrage ist und eine Frage der intellektuellen Offenheit. Das Dritte ist, dass für mich eine Kunst- und Kulturszene, die sich nicht international ausrichtet, einfach uninteressant ist. Ich finde, das geht nicht, egal ob alternative Kunstformen, Volkskunst oder Hochkultur. Wenn sie nicht internationale Dimension hat, indem sie aufnahmefähig ist, für Dinge von außen, dann verkommt sie, egal in welchem Bereich, zu einer provinziellen Haltung. Und das ist etwas, mit dem ich persönlich schwer umgehen kann. Das hat ja auch politische Konsequenzen. Man wird dann halt nicht nur auf dem Gebiet der Kultur, sondern auch in anderen Sektoren borniert, kleinkrämerisch, rein selbstreflexiv und so weiter. Das ist eine Entwicklung, die ich gesellschaftspolitisch für nicht richtig halte. Und da gibt es auch im alternativen Kunst- und Kulturbereich Tendenzen in diese Richtung. Das ist für mich letztlich, egal von welcher Seite das kommt, eine reaktionäre Haltung.

Inwieweit hat Linz09 konkret dazu beigetragen, dass sich Linz international stärker positionieren konnte bzw. kann?

Julius Stieber: Konkret darüber, dass wir Kulturhauptstadt waren und das ein exklusives Label ist. Es gibt ja immer nur zwei Kulturhauptstädte pro Jahr, da hat man schon einmal ein internationales Podium. Aber jetzt vom Allgemeinen weg, natürlich hat die Qualität des Programms und der Abwicklung auch das Ihre dazu beigetragen. Wir hatten auch eine vorbildliche Geschäftsgebarung, die uns international einen guten Ruf gebracht hat, aber auch das Programm war so ausgelegt, dass es europaweit wahrgenommen wurde. Ich denke jetzt an die vielen Theaterprojekte, ich denke an Kunst im öffentlichen Raum, an das Hörstadtprojekt, das international ein großes Echo bekommen hat, an den Umgang mit dem Nationalsozialismus im Kulturhauptstadtjahr, der ebenfalls offensiv war. Da gibt es einige Punkte, wo Linz09 einfach Standards gesetzt hat, die internationale Aufmerksamkeit erregt haben. Dann natürlich das klare Bekenntnis von Anfang an, was ja auch Auftrag der Europäischen Kommission bei Kulturhauptstädten ist, dass im kulturtouristischen Bereich sehr innovativ und mit viel Power und Offensivkraft vorgegangen wird, und das natürlich international etwas gebracht hat. Weil man dadurch imagemäßig die Stadt anders aufstellen konnte. Da geht natürlich viel an Differenziertheit, was die Sicht auf die Stadt betrifft, verloren, zwangsläufig, weil man im kulturtouristischen Bereich vor allem das Positive forciert und die vermarktbaren Module. Trotzdem hat das zur starken internationalen Positionierung von Linz wesentlich beigetragen. Auch dass so viele internationale Künstler da waren. Das vergisst man meistens bei Festivals, dass ja die Leute, die da sind, die Künstler, totale Multiplikatoren sind. Die tragen die positiven Eindrücke, die positiven Arbeitsbedingungen, die interessanten Programme, die sie gesehen haben – weil die schauen sich ja meistens auch andere Sachen an – in alle Welt hinaus. Da hat Linz09 auf jeden Fall gepunktet, weil sich die Künstler hier, die zu Gast waren, sehr wohl gefühlt haben.

Jetzt ist Linz09 Geschichte. Welche Maßnahmen sollte die Stadt setzen, um sich im Kunst- und Kulturbereich weiter international zu öffnen?

Julius Stieber: Eine schwierige Frage, weil wir jetzt viel weniger Geld haben. Das sehe ich jetzt in der Praxis, wie schwierig es ist, den Schwung von Linz09 mit den Mitteln, die man 2008 hatte, mitzunehmen. Das ist nicht so einfach. Ich glaube, dass man in manchen Bereichen mehr investieren sollte, beispielsweise, was den künstlerischen Austausch betrifft, da gibt es Ansätze mit LinzEXPOrt, den man ausbauen sollte. Es gibt das Salzamt, das ebenfalls einen internationalen Austausch ermöglicht, aber auch da könnte man mehr Mittel intensivieren. Und was ganz wichtig ist, dass man Leute nach draußen schickt, ich glaube, Initiativen wie der Kunstraum Goethestraße, die auch sehr international orientiert sind, gehören unbedingt besser unterstützt. Also alle Freie-Szene-Aktivisten, die in diese Richtung gehen, müsste man eigentlich höher dotieren als andere, das ist meine Meinung. Ich glaube auch, dass man Leute von außen gezielt in die Stadt bringen sollte – abgesehen von Gastspielen von Künstlern, die im Brucknerhaus oder Posthof auftreten, denn das passiert sowieso –, da, wo es wirklich in den produktiven und produzierenden Bereich hineingeht. Da denke ich jetzt an mehr Artist-in-Residence-Möglichkeiten in der Stadt, und zwar in allen Sparten, nicht nur in der bildenden Kunst, wo wir sie haben. Weiters gibt es in den skandinavischen Ländern ein sehr erfolgreiches Modell, wo man im Bereich der zeitgenössischen Kunst auch eine Kuratorenförderung macht, wo man Kuratoren, die aus anderen Ländern kommen, ins Land holt, sie mit Künstlern in Verbindung bringt. Das würde – umgelegt auf Linz und Österreich – sehr viel für die lokalen und österreichischen Künstler bringen. So etwas in diese Richtung könnte ich mir gut vorstellen, aber das ist alles eine Ressourcenfrage.

Letzter Themenblock: Netzwerke, Kooperationen und Zusammenarbeit. Wie beurteilst du die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Kultureinrichtungen und NGOs/NPOs bzw. Einzelpersonen aus dem Kunst- und Kulturbereich in Linz? Und wie schätzt du die Einbindung bei städtischen Kulturveranstaltungen ein?

Julius Stieber: Da ist viel mehr drinnen, da schätze ich die Zusammenarbeit nicht als befriedigend ein. Es gibt zwar Kooperationen im Rahmen von Festivals beispielsweise, aber das ist auf einer schiefen Ebene. Die beiden Partner sind nicht gleichberechtigt, sondern da müssen die kleinen Freien froh sein, dass sie überhaupt dabei sind, aber meistens zu sehr ungünstigen Konditionen arbeiten bzw. bekommen sie oft gar kein Geld dafür. Das Dabeisein ist Ehre genug. Ich glaube, dass das nicht der Weg ist. Ich glaube, dass es zu richtigen Auftragsverhältnissen kommen sollte, zu einer entsprechenden finanziellen Anerkennung. Das ist etwas ganz Wichtiges, aber sicher nicht leicht zu bewerkstelligen. Ich glaube, dass die NGOs und die Freie Szene von den Institutionen nicht so ernst genommen werden. Es gibt selten ein Aufeinanderzugehen in diesem Sektor, also wenn ich mich in der Stadt bewege und zu Veranstaltungen gehe, zur Freien Szene, sehe ich kaum jemanden von einer institutionellen Einrichtung. Das ist auffällig, da gibt es wenig Interesse und eine gewisse Überheblichkeit und ich glaube, dass kein Mensch Grund dazu hat, sondern dass da ein stärkerer Austausch und ein Interesse da sein sollte. Umgekehrt muss man natürlich sagen, dass für einen Teilbereich der Freien Szene Institutionen per se ein rotes Tuch sind, also dass es da auch große Vorbehalte gibt und sich diese aus unterschiedlichen Gründen speisen. Da gibt es einfach große Vorbehalte, auch aufgrund von schlechten Erfahrungen oder aus prinzipiellen gesellschaftspolitischen Gründen oder aus Unkenntnis. Das ist auch oft der Fall, dass man einfach nicht genau weiß, was die machen und dann sich irgendeinen Popanz aufbaut, den man bekämpft. Ich glaube, dass da mehr Dialog notwendig ist, und vor allem muss der Stärkere da den ersten Schritt machen, die Institutionen sind da als erstes einmal gefordert, sich mit diesem Teil der Kulturarbeit genauer zu befassen.

Zwischen welchen künstlerischen Disziplinen in Linz könnte die Zusammenarbeit noch optimiert werden? Ist dir da in den letzten Jahren etwas untergekommen, was in Richtung Interdisziplinarität geht, wo du dir gedacht hast, eigentlich komisch, dass es da in der Stadt Linz nicht mehr Zusammenarbeit zwischen diesen Disziplinen gibt?

Julius Stieber: Also bei Kooperationen bin ich pragmatisch. Die gibt es immer dort, wo gemeinsame Interessen sind. Das funktioniert im Bereich des Tourismus mittlerweile gut. Es funktioniert bei großen Formaten, bei Festivals, gut, weil man da weiß, alleine kann man das nicht stemmen, man braucht den anderen. Das sind meistens ganz pragmatische Gründe, die zu Kooperationen führen, wo beide Seiten sagen, da haben wir etwas voneinander. Crossing Europe ist ein Beispiel, nextComic ein anderes. Das sind zudem die großen positiven Ausnahmen, wo es zu Kooperationen zwischen Freie-Szene-Partnern und größeren Kulturinstitutionen kommt.

Und mehr auf die Disziplinen bezogen?

Julius Stieber: Ich glaube, dass sich die Disziplinen, also diese Sortenreinheit, etwas auflösen, dass das sowieso in diese Richtung geht, egal ob ich jetzt an Literatur oder andere Sparten denke. Wenn ich zum Beispiel an den Christian Steinbacher denke mit seinem Poesiefestival, das ist spartenübergreifend, da ist Musik und Literatur und Performance, das ist ein fließender Übergang und das ist auch richtig so. Wo ich viel mehr Potenzial sehe, in einem interdisziplinären Agieren, das ist im Theaterbereich. Da hinkt Linz wirklich hinten nach und da gibt es kaum, vielleicht den Musentempel und theaternyx ausgenommen, Institutionen und Theaterschaffende, die das in irgendeiner Weise schaffen. Das ist noch immer sehr getrennt, Schauspiel und Tanz, also selbst innerhalb der darstellenden Kunst gibt es da eine ganz klare Trennung und viel zu wenig Neugierde auf andere Disziplinen. Das kommt hin und wieder mal vor, aber da hinkt Linz wirklich nach. Da sehe ich auch viel mehr Potenzial, das hat aber oft etwas mit der bereits angesprochenen mangelnden Bereitschaft zu tun, über den eigenen Tellerrand blicken zu wollen. Und da sind wir auch wieder bei der Internationalität und bei der Qualität. In der Musik kann ich das schwer beurteilen, da ist natürlich ein Teilbereich sehr resistent, gerade im Bereich der Hochkultur gegen Interdisziplinarität, wobei das sehr schwierig ist, weil das halt ein sehr klassisches Konzept ist. Aber da wäre sicher auch mehr möglich. Der Film ist per se interdisziplinär muss man sagen, also der benützt so viel, von der Musik über theatralische Mittel bis hin zur Literatur. Das ist im Genre eingeschrieben. Im bildenden Kunstbereich ist es jedenfalls am ehesten erfüllt, in Linz auch durch die Entwicklung an der Kunstuniversität, wo in den letzten Jahren viel in diese Richtung passiert ist, wo man die klassischen Sparten wie Bildhauerei, Keramik, Malerei etc. weitestgehend aufgelöst hat, wo völlig andere Ansätze verfolgt worden sind und man international aufgeschlossen hat.

Wenn die tägliche Zusammenarbeit zwischen den Kunst- und Kultureinrichtungen in Linz betrachtet wird, insbesondere hinsichtlich des Einsatzes von personellen oder materiellen Ressourcen: Wo ergäben sich deiner Meinung nach sinnvolle Synergien? Welche Maßnahmen könnten hier gesetzt werden?

Julius Stieber: Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass die fixen Theaterhäuser offener sind für die Freie Szene. Das hat viel mit Synergien zu tun, da gibt es tolle Infrastruktur im Phönix, im Theater des Kindes, im Landestheater, die aber kaum bis gar nicht für das Off-Theater zur Verfügung gestellt wird. Da glaube ich, wäre schon etwas drinnen, was auch die Qualität der Off-Theater-Szene wieder verbessern würde. Ich glaube, dass im Bereich des zeitgenössischen Kunstangebotes Doppelgleisigkeiten herrschen. Wir haben da im institutionellen Bereich ein sehr großes Angebot. Es hat aber zum Beispiel bei der Triennale 1.0, obwohl das ein gemeinsames Projekt von Lentos, Landesgalerie und OK Offenes Kulturhaus war, zu wenig Verzahnung gegeben, selbst innerhalb dieses gemeinsamen Projektes freie großer Kunstinstitutionen ist sehr isoliert vorgegangen worden. Eine gemeinsame, extern bestellte Intendanz zum Beispiel wäre da das richtige Gegenkonzept. Da hat aber jedes Haus selber mit einem eigenen Kurator programmiert, das ist daher auch inhaltlich nicht wirklich zusammengegangen. Im Bereich Marketing würde ich mir so etwas wie eine gemeinsame Programmzeitschrift, so etwas wie den „Neuner“ der Kulturhauptstadt wünschen. Auch da könnte ich mir Synergien vorstellen. Natürlich auch was – es funktioniert bei Festivals, aber sonst nicht so wirklich – das technische Equipment betrifft. Gerade für die Freie Szene könnte da mehr von den Institutionen kommen, weil nicht immer alles gebraucht wird, was in den Häusern vorhanden ist. Ich könnte mir auch im Ticketing mehr vorstellen. Da sind wir ganz schwach aufgestellt, das war ansatzweise bei Linz09 der Fall, so eine Andockstelle, ein Infocenter, wo man auch Tickets bestellen konnte für die verschiedenen Häuser. Da ist Linz ganz hinten nach, das ist jetzt eine Frage, wie man das löst, aber letztlich wäre es schon wünschenswert, dass man ein gemeinsame Ticketingsystem hat, wo man an verschiedenen Stellen, also zumindest an einer Zentralstelle, alle Karten oder zumindest nahezu alle Karten buchen kann.

Dann stelle ich noch eine letzte Frage zur Kulturentwicklungsplanung. Auf was sollte bei der Erstellung des neuen Kulturentwicklungsplans besonders geachtet werden?

Julius Stieber: Ich lege Wert darauf, dass der Stadtkulturbeirat entsprechend eingebunden ist, sozusagen sich an maßgeblicher Stelle – zum Beispiel über die KEP-Steuerungsgruppe – einbringen kann und im Entscheidungsprozess auch eine beratende Rolle hat. Das ist mir ganz wichtig. Mir ist wichtig, dass der Prozess möglichst breit geführt wird, dass sich wirklich alle, zumindest alle Kunst- und Kulturschaffenden, wenn nicht darüber hinaus, mit Themen wiederfinden und beteiligen. Und mir ist wichtig, dass die Kommunikation während des Prozesses optimal läuft, das heißt größtmögliche Transparenz über verschiedene Möglichkeiten, die man hat, also vor allem über die Homepage und eine möglichst durchgängige Kommunikation über alle Ebenen. Das heißt von der Politik, zur Politik, über die Steuerungsgruppe bis hin zu den Diskussionsforen soll ein möglichst optimaler Kommunikationsfluss gewährleistet sein.

Danke für das Interview.

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