Roswitha Kröll

Geburtsjahr und Geburtsort?

Roswitha Kröll: 1974, Graz.

Du lebst seit wann in Linz?

Roswitha Kröll: 15 Jahre ungefähr.

Welche kunst- und kulturbezogenen Aktivitäten und Funktionen übst du derzeit aus?

Roswitha Kröll: Ich bin bei FIFTITU% – Vernetzungsstelle für Frauen in Kunst und Kultur in OÖ, in der Geschäftsführung tätig. Das ist ein freier Kulturverein mit Sitz in Linz.

Über die Tätigkeit bei FIFTITU% hinaus, gibt es vielleicht andere Funktionen, die noch von Relevanz sind im Kunst- und Kulturzusammenhang?

Roswitha Kröll: Ich war bis vor kurzem im Posthofbeirat, bin bei der KUPF engagiert bzw. in der KUPFakademie im Beirat. Beim Verein Radio FRO – allerdings weniger – tätig, und bin auch noch Künstlerin, manchmal.

Wie würdest du deine eigene Tätigkeit am ehesten zusammenfassend bezeichnen?

Roswitha Kröll: Kulturarbeiterin, Kulturaktivistin oder alles zusammen Kunst- und Kulturarbeiterin, so in diese Richtung.

Zur Einrichtung, also zu FIFTITU%. Welche Zielgruppen werden durch die Arbeit von FIFTITU% besonders angesprochen?

Roswitha Kröll: Frauen, jetzt einmal biologistisch gesagt – aber nicht so gemeint, die im künstlerischen oder kulturellen Feld tätig sind. Wir arbeiten als Verein derzeit an Gleichstellungszielen, das heißt an der Ausweitung unseres Feldes, weil in unserem Vorstand zum Beispiel sehr viele Frauen aus einer „höheren Bildungsschicht“ sind. Die meisten haben an der Kunstuniversität studiert oder sonst irgendwie in diese Richtung eine Ausbildung gemacht und wir haben nicht mehr so viel Kontakt zu Frauen in Kunst- und Kulturvereinen, die Oberösterreichweit tätig sind, wie es im Gründungsjahr von FIFTITU% war.

Auf welchen geografischen Wirkungsbereich zielt die Arbeit in erster Linie ab?

Roswitha Kröll: Oberösterreich, teilweise darüber hinaus. Also national zum Beispiel im Rahmen der Bundesvernetzungstreffen oder teilweise im Beratungssektor, wo sie von Frauen aus anderen Bundesländern bei uns in Anspruch genommen wird. Aber hauptsächlich Oberösterreich und natürlich wird sehr viel in Linz abgedeckt, weil halt die meisten Workshops in Linz stattfinden, auch weil Linz oft leichter erreichbar für Leute aus ganz Oberösterreich.

In welchen künstlerischen Disziplinen bzw. kulturellen Arbeitsfeldern ist die Einrichtung hauptsächlich tätig?

Roswitha Kröll: Das ist eher freie Kunst- und Kulturarbeit, nicht so sehr Volkskultur, wobei es da auch teilweise Kooperationen gegeben hat mit FIFTITU%. FIFTITU% ist eher im Bereich Gesellschaftspolitik, Kulturpolitik tätig. Also was auch vor allem die Projekte betrifft.

Gibt es in Bezug auf die vorhandene räumliche und technische Infrastruktur aktuell einen Handlungsbedarf, d. h. den Wunsch nach quantitativer Erweiterung oder qualitativer Verbesserung?

Roswitha Kröll: Ja, wir hätten gern barrierefreie Zugänge. Was jetzt vom Büro her nicht leistbar ist. Also wir haben jetzt ca. 70 m², wo eine Bibliothek mit Internetplatz, das Büro, ein Workshop- bzw. Besprechungsraum und eine kleine Küche Platz haben. Und sonst noch bitte eine dritte Mitarbeiterin.

Also personelle Ressourcen.

Roswitha Kröll: Personelle Ressourcen, ja.

Wie viele Personen waren insgesamt in der Einrichtung mit Stand 1. Jänner 2011 beschäftigt?

Roswitha Kröll: Zwei Halbzeitbeschäftigte mit 24 Stunden pro Woche und wir haben dann noch zwei Personen, die geringfügig sehr sporadisch monatlich Arbeiten erledigen.

Wie schaut es aus mit Freiwilligen? Also wenn man ein durchschnittliches Arbeitsmonat oder ein durchschnittlichen Projekt hernimmt, wie viele Personen sind freiwillig bzw. ehrenamtlich beschäftigt?

Roswitha Kröll: Sechs Leute zusätzlich noch.

Nun kommen wir zum Hauptteil über die kulturelle Entwicklung, Situation und Zukunft von Linz. Zu Beginn ein kurzes Assoziationsspiel: Welche Begriffe fallen dir ein, wenn du an „Kulturstadt Linz“ denkst?

Roswitha Kröll: Viel zeitgenössische Kunst und Kulturarbeit, Julius Stieber, Kulturhauptstadt 2009, Regress in der Frauenpolitik mit 2009, wobei das Kulturamt immer sehr frauenfördernd eingestimmt war. Gerda Forstner fällt mir dazu ein. Sehr viele freie Kulturinitiativen, Kulturplattform in Oberösterreich mit Sitz in Linz, die man auch sehr wahrnimmt in der Stadt. Einzelne Orte: Roter Krebs, Stadtwerkstatt, KAPU. Das Festival der Regionen wobei das ist Oberösterreichweit, Crossing Europe, also Film, es gibt ein Comicfestival, ein Performancefestival.

Wenn du die letzten 10 Jahre, also die Jahre 2000 bis 2010, betrachtest: Was lief deiner Meinung nach besonders gut in der kulturellen Entwicklung der Stadt Linz?

Roswitha Kröll: Ich glaube, ich bin ein bisschen in einer Blase, weil ich eher von der Österreichischen HochschülerInnenschaft her auch mit FIFTITU% viel in Kontakt war, das heißt, ich habe vieles andere vielleicht nicht so mitbekommen und andererseits habe ich dafür sehr viele Projekte mitbekommen, die sehr spannend für mich waren in diesen Jahren. Wenn ich es mit Graz vorher vergleiche, das ich als sehr konservativ wahrgenommen habe und Linz dagegen als sehr progressiv. Es gibt einfach Projekte, die gesellschaftspolitisch eine Rolle spielen und wichtig sind, zum Beispiel für Frauen in Kunst und Kultur oder wo auch das Thema Sexarbeit eine Rolle spielt. Ich weiß nicht, inwieweit das wirklich öffentlich, für alle öffentlich wahrgenommen wird, aber das sind Projekte, die für mich Linz sehr lebenswert machen. Da bleib ich gerne da, für andere Sachen bleibe ich weniger gerne da.

Was sind die anderen Sachen? Also mit welchen kulturellen Entwicklungen bist du weniger zufrieden in den letzten Jahren?

Roswitha Kröll: Wenn ich sage, auch was die Kulturhauptstadt aufgegriffen hat, Kultur, Natur und Industrie. Mit dieser Schönfärbung, also von wegen dreckiger Industrie, jetzt haben wir schöne Industrie, die VÖEST ist außen auch sauber, man kann Führungen machen, es ist total sauber und alles ist Kultur. Alles ist saubere Kultur. Und die Sachen, die nach wie vor eine Rolle spielen, werden dadurch überdeckt, also auch arme Menschen – ökonomisch arme Menschen, mit dem Bettelverbot letztens. Das sind Sachen, die für mich hier eine Rolle spielen. Dieses Schönmachen und dahinter verbergen sich Sachen, an denen gearbeitet gehört aber nicht gearbeitet wird. Also strukturelle Veränderungen, die wichtig wären und nicht nur Anmalen von irgendwelchen Sachen.

Das heißt zwar, auf der einen Seite prinzipielle Offenheit gegenüber gesellschaftspolitischen Formen der Kunst und Kultur, aber auf der anderen Seite, wenn es um das Substanzielle geht, mit Widerstand oder anderer Wahrnehmung?

Roswitha Kröll: Eine andere Wahrnehmung, also so etwas wie: Reicht es nicht, wenn man die Leute versteckt? Das kann nicht der Sinn sein von einer Gesellschaft und auch nicht von Kulturpolitik, weil diese Menschen, die bewegen ja auch. Wobei, es geht nicht immer nur um Kulturpolitik.

Sonst noch irgendetwas, das dir aufgefallen ist in den letzten 10 Jahren, das besonders gut gelaufen ist in der kulturellen Entwicklung von Linz?

Roswitha Kröll: Na ja, so etwas wie der Kulturentwicklungsplan finde ich schon einmal einen guten Ansatzpunkt. Also sich einfach zu überlegen, was will eine Stadt, welches Potenzial hat eine Stadt und ihre Kultur oder welche Kultur wollen wir fördern und da halt aber als möglichst breites Anliegen, also gesellschaftliches Anliegen. Kultur ist ein Repräsentationsfeld, das heißt, ich muss auch wissen, welche Sachen gefördert werden sollen. Also ich meine die Sachen, die gefördert werden, sind ein Spiegel von dem, was sonst in der Politik passiert und da denke ich mir, da kann Kultur eine Vorreiterrolle spielen. Auch um vielleicht politisches Handeln zu stützen, ich meine nicht Parteipolitik, weil das wäre dann gefährlich.

Wenn man Linz vergleicht … Graz, das hast du schon kurz angesprochen, du hast einen Vergleich zu Graz. Womit kann Linz deiner Meinung nach im österreichischen Städtewettbewerb punkten, vor allem im Vergleich zu ähnlich großen Städten wie Graz, Salzburg oder Innsbruck?

Roswitha Kröll: Wir haben schon ein reiches Feld an freier Kunst- und Kulturarbeit, also sehr viele freie Initiativen im Vergleich zu Graz. Wobei da gibt es auch wahrscheinlich mehr, seitdem ich weg bin, das weiß ich jetzt nicht so genau. Eine Kunstuniversität gibt es hier, die in der Stadt verortet ist. Wobei da haben die anderen Städte einen Vorteil, weil die haben die Universitäten in den Städten. Also was mir fehlt, ist ein bisschen mehr Geisteswissenschaften in Linz. Linz hat schon auch sehr die Offenheit für so was wie eine freie Kunst- und Kulturszene. Es gibt auch Diskussionen, so etwas wie Freiräume zu schaffen und da auch ein bisschen mehr zu diskutieren. Es gibt so etwas wie die Tabakfabrik, als riesiges freies Areal, wo man auch nicht genau weiß, was man dort gerne hätte. Aber das wären Potenziale, die man ausnützen könnte.

Inwieweit denkst du, dass Linz international als Kulturstadt wahrgenommen wird? Welche geografische Reichweite hat die internationale Wahrnehmung deiner Meinung nach?

Roswitha Kröll: Die reicht bis zum AEC, glaube ich. Das Ars Electronica Festival und Crossing Europe haben sicher auch ein sehr gutes Standing. Crossing Europe also eher im osteuropäischen Raum, glaube ich. Also das Ars Electronica würde ich eher so mit MIT, Japan und dann war’s das irgendwie, verbinden. Wahrscheinlich auch noch andere. Und Crossing Europe ist da etwas bunter und sonst eher wenig. Ja, Time’s Up fällt mir auch noch ein.

Inwieweit denkst du, dass durch Linz09 die Wahrnehmung als Kulturstadt international verstärkt wurde oder hat das weniger dazu beigetragen?

Roswitha Kröll: Ich glaube, das hat schon dazu beigetragen. Also alleine schon durch die Berichterstattung. Und Projekte wie das Gelbe Haus, die sind schon noch gut in Erinnerung, die nimmt man visuell war, das bleibt schon. Also das weiß ich nicht, ob international … für Kulturhauptstädte wahrscheinlich immer wieder. Also wenn ich mir denke, ich beobachte jetzt auch nicht die Kulturhauptstadt Istanbul, also wie weit und wie lange das dort hält.

Beschreiben bitte dein Resümee von Linz09 anhand von drei Punkten.

Roswitha Kröll: Also als erstes einmal das Heller-Statement: Wenn man mich zu Frauenquoten gezwungen hätte, hätte ich den Job nicht angetreten, was irgendwie sehr armselig war, finde ich. Und auch die Strukturen, die dort geherrscht haben. Was ich als gutes Projekt in Erinnerung habe, ist eben das Gelbe Haus und so etwas Kontroversielles wie die Subversivmesse. Also schon alleine, dass so etwas stattfinden hat können. Und auch die Beschriftungen der Straßen. Ich weiß nicht mehr genau, wie das Projekt geheißen hat.

In Situ?

Roswitha Kröll: In Situ, ja. Wobei es da, finde ich, hätte noch mehr begleitete Arbeit gebraucht.

Ein Blick wieder zurück zu Linz, zur Struktur. Wie schätzt du das Verhältnis von Hochkultur – Subkultur – Volkskultur in Linz ein?

Roswitha Kröll: Ich glaube, so 60 % Kulturvereine, das andere teilt sich so 20/20 wahrscheinlich auf Volks- und Hochkultur auf.

Und vom Stellenwert her. Wir würdest du das beurteilen, abseits vom prozentuellen, von der Wahrnehmung, von der kulturpolitischen Gewichtung?

Roswitha Kröll: Da würde ich sagen, Hochkultur hat noch mehr Stellenwert, 50 %. Also Volkskultur bleibt vielleicht bei 20 bis 30 %. Was ist noch übrig? 20 % für die Kulturvereine? Was vielleicht eh sehr positiv eingeschätzt ist von mir.

Wenn du einzelne künstlerische Disziplinen wie Malerei und Grafik, Tanz, Theater, Musik, Literatur, Film, Fotografie usw. betrachtest: Wo denkst du, wäre in der Stadt noch Entwicklungspotenzial vorhanden? Also was in den letzten Monaten, Jahren bei Diskussionen herausgekommen ist, was du diskutiert hast, wo du dir gedacht hast, eigentlich wäre da viel mehr Potenzial in der Stadt?

Roswitha Kröll: Eben die Tanz- und Theater-Geschichte. Wobei es da sehr viele Projekte gibt, die zum Beispiel im Posthof schon stattfinden. Für mich gibt es auch mehr Entwicklungspotenzial im Bereich der freien Kulturarbeit. Eben dadurch, dass da sehr viel da ist, würde ich da noch viel mehr reinstecken. Es ist halt auch immer die Frage mit dem Verkrusten der Strukturen dann. Aber auch temporäre Orte mehr zur Verfügung stellen, also das ist ein Feld, wo ich mir denke, da gehört schon noch viel mehr gemacht. Weil es wäre mehr da dann. Bildende Kunst ist sehr viel da, Literatur nehme ich wenig war, außer das StifterHaus. Auch so etwas wie Poetry-Slam, wobei das eher in Wien verortet ist. Ich weiß nicht, ob wir das hier noch mehr in Linz haben könnten. So an aktuellen Kunstauseinandersetzungen: Wir haben zwar die Kunstuniversität da, aber da gehen mir auch die aktuellen Diskussionen ab. Da gehört viel mehr aktuelle Diskussion her, die mit der Situation in Linz auch zu tun hat.

Letzte Frage in diesem Hauptblock. Welche drei thematischen Schwerpunkte mit Kunst- und Kulturbezug werden deiner Meinung nach zukünftig die größten Herausforderungen für die Stadt darstellen?

Roswitha Kröll: Raum wird einer der Punkte sein. Dann gesellschaftspolitische Auseinandersetzung, so etwas wie Gleichstellungspolitik, nicht nur Gender Mainstreaming oder Diversity Management. Weder Migrations- noch Integrationspolitik kann ich das nennen. Also damit muss anders gearbeitet werden, weil das einfach Menschen sind, die Potenzial für die Stadt haben und auch so erkannt werden müssen. Und was ist der dritte Punkt? Einfach auch ein Umdenken in Strukturen.

Inwiefern ein Umdenken in Strukturen?

Roswitha Kröll: Eine Gesellschaft als Ganzes wahrzunehmen und auch die Kulturpolitik in diese Richtung auszurichten.

Also Kultur- und Gesellschaftspolitik hängen zusammen. Gibt es dann noch irgendeinen thematischen Schwerpunkt, wo du dir denkst, wenn der neue Kulturentwicklungsplan nur aus drei Kapiteln bestehen würde … Also ein Kapitel würde heißen, Raum, Raum schaffen, Raum nehmen. Eines würde heißen Gleichstellungspolitik, Umdenken in Strukturen, Kulturpolitik = Gesellschaftspolitik, neue Potenziale, Gerechtigkeit. Und ein drittes?

Roswitha Kröll: Ja, also das sind in Linz immer die Medien oder Open-Source von mir aus. Da gibt es in Linz eine Community, zumindest eine kleine. Vielleicht ist die Community in Wien größer, aber ich nehme sie mehr in Linz wahr, auch in dem was sie anbietet, im Vergleich zu Wien.

Zu den einzelnen Themenbereichen. Zuerst zu Arbeitsbedingungen/Arbeitsverhältnisse/Soziale Lage: Wenn du dein näheres kulturelles bzw. künstlerisches Umfeld betrachtest: Welche Arbeitsverhältnisse dominieren hier?

Roswitha Kröll: Teilzeit und freie Dienstverträge, beziehungsweise gar keine.

Wie würdest du die Arbeitsbedingungen beschreiben, unter denen du arbeitest?

Roswitha Kröll: Teilzeit, flexibel. Wobei ich eine feste Struktur habe, aber auch sehr flexibel sein muss. Prekär will ich nicht sagen, das passt nicht ganz für mich. Kommt auch darauf an, wie die Förderlage aussieht, also ein bisschen unsicher immer. Ich habe zwar ein unbefristetes Dienstverhältnis, es kommt aber darauf an, wie hoch der Verein gefördert wird. Da muss man dann schauen, wird die Stelle gestrichen oder nicht.

Inwieweit sind diese Arbeitsbedingungen typisch für den Kunst- und Kulturbereich in Linz?

Roswitha Kröll: Freie Kulturszene sicher, auch im Theaterbereich ist das eher typisch, so in der Entwicklung der Jahre hat sich gezeigt, dass das typische Verträge sind. Außer im öffentlichen Bereich vielleicht noch, dort sind das Verträge, die auf fünf Jahre sind, wo man eine gewisse Grundsicherheit hat. Wobei, ich habe auch einen längeren Vertrag, was jedoch nichts heißt.

Würdest du sagen, dass du eine privilegierte Position hast, innerhalb der freien Kunst- und Kulturarbeit oder ist das mittlerweile schon typischer geworden, dass man zumindest irgendeine Form des Anstellungsverhältnisses, also Teilzeit oder so, hat?

Roswitha Kröll: Nein, glaube ich nicht. Weil so viele Stellen gibt es in Linz nicht.

Welche Maßnahmen könnte die Stadt Linz setzen, um die Arbeitsbedingungen und die soziale Lage für Kunst- und Kulturschaffende zu verbessern? Kann die Stadt überhaupt irgendetwas machen, irgendetwas beitragen?

Roswitha Kröll: Ich denke mir, eine Strukturförderung von Vereinen würde gut tun. Also auch im Hinblick auf personelle Arbeit, weil sich die dann eher professionalisieren können, du kannst dich weiterbilden. Das geht sich jetzt zeitmäßig fast alles nicht aus. Du arbeitest halt die ganze Zeit. Und ich finde so etwas wie Weiterbildung wäre für einen Verein genauso wichtig wie für das Kulturamt. Falls es das dort gibt, ich weiß es nicht. Weiterbildung ist, finde ich, enorm wichtig für eine Organisation und auch ein Rauskommen aus dem ewig gleichen Trott. Bei FIFTITU% haben wir gerade ein Rotationsmodell mit Bildungskarenz. Wir sind zu dritt und alle vier Jahre kann eine ein Jahr in Karenz gehen. Wir schichten auch Arbeitspakete um. Das ist aber nur bis zu einem gewissen Teil ein Rotationsmodell, weil sich FIFTITU% immer nur knapp zweieinhalb Angestellte leisten kann – und das auch nur inklusive Projektgeldern. Also jedes Jahr kann nicht eine von uns auf Karenz gehen.

Du hast Weiterbildung angesprochen. Kann man sich das vorstellen, Bildungsschecks zum Beispiel für freie Kunst- und Kulturarbeiterinnen, dass es dafür vielleicht ein Kontingent gibt?

Roswitha Kröll: Gute Idee. Ja, es gibt von der AK den Bildungsscheck für BFI-Kurse, aber da sind die Kurse schon so teuer. Und auch nicht die Kurse, die ich besuchen will.

Es könnte ja irgendein Kulturmanagement-Lehrgang sein oder die KUPF-Akademie oder speziellere Kurse.

Roswitha Kröll: Ja, auf jeden Fall, da sind die Leute auch interessiert, so etwas zu machen. Was ihnen auch fehlt, sind teilweise die zeitlichen Ressourcen. Wenn du in eine Vereinsstruktur eingebunden bist und von Projekt zu Projekt springst, weil die halt ausschließlich auf Projektbasis arbeiten. Aber so kleinere Kurse gehen immer, also denke ich mir, wären möglicher. Aber das finde ich wiederum ebenfalls prekär. Kleine Kurse, weil kleine bzw. keine Zeit. Da müssen Organisationen noch viel umdenken.

Fällt dir sonst noch etwas ein, was die Stadt machen könnte, um die Arbeitsbedingungen, die Arbeitsverhältnisse oder die soziale Lage von Künstler_innen und Kulturarbeiter_innen zu verbessern?

Roswitha Kröll: Rotationsbetrieb im Kulturbetrieb zum Beispiel … weiß ich nicht … Da bin ich jetzt nicht die Expertin für Arbeitsbedingungen, aber ich bin prinzipiell für die Einführung einer Grundsicherung für alle. Es geht auch darum Modelle auszuprobieren. Das geht im kulturellen Sektor vielleicht leichter, weil der ja als kreativ gelten soll.

Zum Themenbereich Gender/Frauen. Du hast das vorher schon ein bisschen angesprochen. Welche Rolle spielt deiner Meinung nach das Thema „Gender“ derzeit im kulturpolitischen Diskurs in Linz?

Roswitha Kröll: Null Prozent? Nein, eins bis zwei, glaube ich. Auch wenn ich die Diskussion und den Rundgang mit Julius Stieber revue passieren lasse, war das wenig Thema.

An was liegt das?

Roswitha Kröll: An der geringen Wahrnehmung. Einerseits gibt es schon ein Bewusstsein dafür, dass Gleichberechtigung in der Gesellschaft wichtig ist, aber dass Kunst und Kultur nicht das Feld ist. Und wo ich mir denke, dass ist einfach eine falsche Ansichtssache. Das ist eher so etwas, das unbewusst weiter getragen wird, wobei die Leute gleichzeitig glauben, sehr viel Gender-Bewusstsein zu haben. Na ja. Es mangelt auf alle Fälle aber an der konkreten Umsetzung oder an dem Immer-Mitdenken. Also wenn ich schon nicht einmal eine gendergerechte bzw. gerechte Sprechweise verwende, unterstelle ich dann auch, nicht die Wahrnehmung dafür zu haben, dass es Künstlerinnen gibt, weil ich höre immer nur, dass von Künstlern gesprochen wird und nicht von Künstlerinnen, dann fehlt da irgendetwas.

In welchen konkreten Bereichen werden Frauen benachteiligt, wenn du den Kunst- und Kulturbereich in Linz betrachtest? Fallen dir dazu einige Beispiele ein?

Roswitha Kröll: Also Lentos ist jetzt weiblich besetzt, wobei der Vertrag angeblich nicht verlängert wird – wie lang war der frühere Direktor in der damals „Neuen Galerie“ tätig? Ich meine, Stella Rollig hat eine sehr gute Arbeit geleistet im Lentos und mir haben fast alle Ausstellungen sehr gut gefallen. Was sagt mir das? Crossing Europe hat eine Chefin sozusagen. Allgemein in den Strukturen fehlt noch sehr viel. Es fehlt noch sehr viel an Bewusstsein, eben auch bei der Fördervergabe oder in der Förderung von Frauenförderung. Da ist es glaube ich egal, welcher Bereich. Es ist die Frage, was gemacht wird damit. Wenn ich mir die LIVA ansehe, das ist einer der Hauptfördernehmer der Stadt und die scheren sich nichts. Da hat für mich die Kulturpolitik schon eine Verantwortung und muss schauen, dass das in allen Fördervergaben durchgesetzt oder umgesetzt wird, um eben gesellschaftspolitisch auch aktiv zu sein und Kulturpolitik in diese Richtung zu machen – für eine gleichberechtigte Gesellschaft. Kultur bzw. Kulturpolitik ist ja angeblich für alle da.

Welche besonderen Maßnahmen sollte die Stadt Linz setzen, um eine Gleichberechtigung der Geschlechter im Kunst- und Kulturbereich sicherzustellen?

Roswitha Kröll: Der Symmetriebericht alleine ist zu wenig. Ich glaube, es braucht sehr viel Diskussionsarbeit. Weil zum einen sehr viele Strukturen da sind, die am Alten festhalten und die sich schnell angegriffen fühlen. Das heißt, ich kann jetzt wahrscheinlich nicht einfach Quoten einführen, sondern muss da mit anderen Maßnahmen parallel arbeiten. Also man muss nicht von heute auf morgen Quoten einführen, sondern bestimmte längerfristige Planungen angehen: bis zum Jahr X haben wir so und so viele Stellen. Ich meine, da muss doch etwas möglich sein. Das muss irgendwie eine gute Verteilung haben und die Leute müssen zumindest dann ein Bewusstsein für so etwas haben, ob es sich jetzt um Frauen oder Männer handelt. Für die Anliegen muss auch ein Bewusstsein da sein. Man kann nicht irgendjemanden hinsetzen, der oder die noch nie etwas von Künstlerinnen gehört hat und nicht einmal drei aufzählen kann, wenn er oder sie im Kulturamt arbeitet. Also ich weiß jetzt nicht, wie viel Arbeit man tatsächlich mit Künstlerinnen verbringt oder eher mit irgendwelchen Sachen abtippen, aber da müsste schon viel mehr Bewusstseinsarbeit geleistet werden, also auch innerhalb vom Kulturamt, um dann auch öffentlich mehr in dem Sinn zu arbeiten, zu den Leuten hin eben, wo die Fördergelder hinfließen. Die halt auch nicht mächtig, aber durchaus wirkungsmächtig sind, mit allen diesen vielen kleinen Projekten in Linz, teilweise. Was ist die kritische Masse? Zehn Prozent?

Ok, letzter Themenbereich. Interkulturalität/Migration/Integration. Unabhängig davon, wie viel Einblick du in den Bereich hast: Wie schätzt du die Entwicklung der migrantischen Kulturarbeit in Linz in den letzten 10 Jahren ein?

Roswitha Kröll: Ich glaube, zu erst hat es sehr viel Volkskultur gegeben. Das kann ich nicht genauer beurteilen und ich nehme auch junge Kunst- und Kulturinitiativen jetzt wahr. Also so zweite, dritte Generation wahrscheinlich, oder mit maiz schon am Anfang. Ich weiß auch, dass sehr viel Förderungen der Stadt Linz in volkskulturelle Förderung gegangen ist, wo ich mir denke, das ist einerseits wichtig für diese Volksgruppen, bildet aber auch wieder sehr viele Volksgruppen, also lässt sie in ihrem Ding drinnen, wo man nicht richtig daheim ist und auch nicht richtig da ist. Und es gibt wenig Durchlässigkeit. Und bei den neuen Initiativen oder bei solchen Initiativen wie maiz, die es auch schon lange gibt, 15 Jahre, die von Anfang an sehr offen waren, und mit einem ganz anderen Kulturbegriff gearbeitet haben, also wobei Kulturarbeit nur ein kleiner Teil von maiz ist, die haben dagegen zu wenig Förderung erhalten dagegen. Und genau die aber jene sind, die mit der Hegemonialkultur viel durchlässiger sind. Und auch so mehr Kritik in diese tragen können. Ein gegenseitiges Lernen ist dann mehr möglich und vor allem wichtig. Also da denke ich mir, da gehört viel mehr Förderung in diese Richtung. Und auch wenn ich Volkskultur fördere, mehr in so eine Durchlässigkeitsförderung, wie auch immer man das macht.

Mit welchen besonderen Problemen sind deiner Meinung nach MigrantInnen im Kunst- und Kulturbereich in Linz konfrontiert?

Roswitha Kröll: Na ja, dass man sie sehr ethnisch wahrnimmt. Also türkisches Essen, Tanzen, Musik, das war’s schon. Und man nimmt sich, glaube ich … wird jetzt auch bei der jüngeren Generation anders sein … aber das Gros nimmt man wahrscheinlich nur als Gruppe war, aber es gibt eben auch sehr viele Unterschiede, Individuen auch wieder, die ganz anders arbeiten. Das finde ich, ist ein Problem. Also die Wahrnehmung der Hegemonialkultur auf die Leute, die Minderheiten sind, das Klischeedenken. Und wahrscheinlich umgekehrt auch. Aus der Sicht der MigrantInnen kann ich es jetzt auch nicht sagen. Also man gehört nicht ganz dazu, würde ich sagen, man wird nicht so wahrgenommen und man muss andauernd sagen, von wo man herkommt. Das stelle ich mir alles irgendwie super öde vor.

Wie würdest du die Verbindungen zwischen den verschiedenen migrantischen Kultureinrichtungen in Linz beschreiben?

Roswitha Kröll: Würde ich eher … bin mir nicht sicher, aber ich glaube sie sind eher sehr in sich geschlossene Gruppen, also die Kulturvereine. Außer der türkische Sportverein mit dem türkischen Ruderverein vielleicht. Oder wo das eine das andere ist. Ich glaube, da gibt es nicht so viele Netzwerke, weiß ich aber nicht, ist die Vermutung. Hängt vielleicht auch damit zusammen, dass ich sie bzw. die Kulturvereine sich eben in Gruppen ethnisiert darstellen. Weil wie gesagt, vielleicht ein türkischer wahrscheinlich nicht mit einem bosnischen Kulturverein in einer gemeinsamen Mann- oder Frauschaft Fußball spielt. Ich weiß nicht, vielleicht tun sie es.

Und wie würdest du die Verbindungen zwischen migrantischen und nicht-migrantischen Einrichtungen aus dem Kunst- und Kulturbereich in Linz beschreiben? Was ist dir da aufgefallen in den letzten Jahren, von den Verbindungen her?

Roswitha Kröll: Na ja, eher nicht so, die Vorgehensweise ist wohl eher die: Wir brauchen jetzt was Türkisches, und dann darf der türkische Kulturverein kommen und darf mit uns kooperieren oder wird eingeladen. Das ist wahrscheinlich bei uns allen gleich. Also will FIFTITU% mit MigrantInnen kooperieren, da gehen wir dann zu maiz. Aber da geht es halt auch darum, sich in Projekte zu involvieren und da können schon mal die Fetzen fliegen. Bis alle mehr dazugelernt haben. Ich bin mir nicht sicher, ob das bei allen Kulturvereinen so ist oder wie da die Gratwanderung stattfindet zu wirklicher Partizipation bei Projekten, oder ob man sie nur einlädt, weil sie halt Türken oder Bosnier oder Kroaten sind. Und wer kann sich das leisten? Also wie sind auch noch mal die Lebensumstände dazu?

Was sollte die Stadt deiner Meinung nach machen, um Interkulturalität zu fördern? Würde es reichen, projektiv zu fördern?

Roswitha Kröll: Bei Projekten hast du zumindest die Chance, dass es wieder aufhört. Aus Sicht der Stadt gedacht! Ich glaube, es muss eine Mischung geben, also projektiv und strukturell. Projektiv ist halt auch der Nachteil, dass es dann irgendwann aus ist. Das heißt, es gibt vielleicht eine gute Kooperation mit SpacefemFM Frauenradio und das Projekt hört dann auf, weil halt dann das Geld aus ist. Und was man an strukturierter Förderung anders machen kann? Ich meine, da schaut man sich eh an, welche Kulturvereine Geld bekommen und was sie genau damit machen. Und wenn ich Sachen eher fördere, die in Kooperationen ablaufen … das heißt aber dann nicht, was ich schwierig fände, alle migrantischen Kulturvereine bekommen nur dann Förderungen, wenn sie mit irgendjemanden kooperieren und die hegemonialen Kulturvereine können tun, was sie wollen. Das fände ich dann problematisch. Aber umgekehrt alle hegemonialen … das wäre dann positive Diskriminierung sozusagen.

Alle verpflichten?

Roswitha Kröll: Kann man das Lentos verpflichten oder die LIVA verpflichten?

10 % der Förderung müssen für interkulturelle Projekte verwenden werden und wenn das passiert und nachweislich gut passiert, dann werden von den 10 % zusätzlich 5 % dazugeschlagen.

Roswitha Kröll: Genau! Genau so wie mit der Geschlechterförderung. Das würde ich auch so machen. Und welche Themen werden auch gefördert? Und die Einreichungen anschauen. Dabei gibt es LinzEXPOrt oder LinzIMpORT. Das ist, glaube ich, auch schon in allen Sprachen. Man kann schon in allen Sprachen einreichen. Aber inwieweit kommt das an die Kulturvereine, wie ist da die Verteilung? Erreicht es die überhaupt, auch wenn das gut gestreut wird, ich weiß nicht genau?

Wir sind am Ende des Interviews angelangt. Ist dir irgendetwas noch abgegangen, möchtest du noch irgendetwas Wichtiges mitteilen?

Roswitha Kröll: Nein, ich habe alles gesagt!

Eine letzte Frage hätte ich noch auf den Prozess des Kulturentwicklungsplanes bezogen. Ist dir da irgendwas wichtig mitzuteilen, was bei der Erstellung des neuen Kulturentwicklungsplans besonders beachtet werden soll?

Roswitha Kröll: Also beim partizipatorischen Prozess ist immer wichtig, in wie weit die Leute ehrenamtlich arbeiten, welche Leute eingeladen werden, also wo ist da die Mischung? Welche Leute arbeiten ehrenamtlich dort mit und welche sind beruflich eingebunden? Wie werden dann Aufgaben verteilt? Also ich meine, wir schreiben Stellungnahmen oder wir binden uns ein als FIFTITU%, dann ist das einfach sehr viel Zeit und der Kulturentwicklungsplan Linz ist wichtig, aber die Arbeit von FIFTITU% ist auch wichtig. Und das gilt für andere Vereine auch. Es werden nicht nur Vereine eingebunden sein. Es gibt sicher Leute, die arbeitszeitmäßig sowieso teilnehmen müssen… Wie schätzt man das ein? Und dass dann auch tatsächlich Maßnahmen, die da entwickelt werden, umgesetzt werden, also irgendwie auch ein Papier herauskommt, wo konkrete Maßnahmen dabei sind, die zu einer bestimmten Zeit umgesetzt werden müssen. Weil der letzte Kulturentwicklungsplan … ich meine, das Kulturleitbild für Oberösterreich hat zum Beispiel Gender Mainstreaming als Querschnittsmaterie drinnen, ohne Zeitvorgabe, ohne beschlossene Maßnahmen. Ein Papier für ich weiß nicht wen? Und wie wird das evaluiert? Jährlich? Fünfjährlich? Ich meine, die Maßnahmen können sich ja auch noch ändern. Also wenn ich drauf komme nach zwei Jahren, das ist ja völlig ein Blödsinn, dann muss auch die Möglichkeit bestehen, dass man das ändern kann. Ich meine, vielleicht ist die Maßnahme eine „gute“, hat aber eine völlig gegenteilige Wirkung gezeigt. Ich sage nur „Gender Budgeting“ als Stichwort. Nur weil zum Beispiel in einer Abteilung so viele Frauen arbeiten und in der anderen auch und die dann alle gut bezahlt werden und die Firma so viele Frauen in ihrer Statistik hat, aber alle Führungspositionen männlich besetzt sind … ich meine, das kann es nicht sein.

Danke.

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