Tamara Schwarzmayr

Dein Geburtsjahr und Geburtsort?

Tamara Schwarzmayr: 1973, Vöcklabruck.

Du lebst in Wien seit?

Tamara Schwarzmayr: Seit 1991. Dazwischen einige Zeit in Lateinamerika und in Linz.

Welche kunst- und kulturbezogenen Aktivitäten und Funktionen übst du derzeit aus?

Tamara Schwarzmayr: Wir, d. h. der Verein Samstag (Nadia Prauhart und ich) sind seit einigen Jahren im öffentlichen Raum Wiens aktiv. Im Jahr 2010 haben wir begonnen, am Schwendermarkt im 15. Bezirk zu arbeiten, sozusagen eine Pilotphase. Es geht darum, mit den Menschen vor Ort auszuloten, wie der Markt wieder funktionieren könnte und was ein öffentlicher Raum braucht, um die verschiedensten Bedürfnisse abzudecken. Wir stellen Infrastruktur und geben inhaltliche Inputs, der Rest kommt von den Menschen vor Ort.

Wie würdest du die eigene Tätigkeit am ehesten in aller Kürze bezeichnen?

Tamara Schwarzmayr: Ich arbeite an der Schnittstelle zwischen Inhalt und Umsetzung in den Bereichen Kunst, Kultur und Kultur/Geisteswissenschaften. Die Inhalte haben meist mit dem urbanen Raum und gesellschaftspolitischen Themen zu tun.

Kunst- und Kulturarbeiterin und Geisteswissenschafterin? Wäre ok, wenn das so wo steht?

Tamara Schwarzmayr: Ja, ist ok.

Weiter zum Hauptblock, zur kulturellen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Linz. Kurzes Assoziationsspiel: Welche Begriffe fallen dir ein, wenn du an „Kulturstadt Linz“ denkst?

Tamara Schwarzmayr: Meine Kindheit und das Gegenteil: Stahlstadt, es stinkt. Meine Jugend: ich fahre zu Konzerten in den Posthof: Aha, Kultur. Ich kaufe meine ersten Platten in Linz und Salzburg. Danach eine kontinuierliche Entwicklung in Richtung Schwerpunkt Kunst und Kultur. die Luft wird auch besser.

Wenn du die letzten höchstens 10 Jahre, also die Jahre 2000 bis 2010, betrachtest: Was lief deiner Meinung nach besonders gut in der kulturellen Entwicklung der Stadt Linz?

Tamara Schwarzmayr: Linz hat ein kulturelles und künstlerisches Selbstbewusstsein entwickelt, wurde immer präsenter: AEC, Kunstuni, Lentos, Klangwolke. Immer mehr an Öffentlichkeit. Das alles schon vor Linz09 natürlich.

Und mit welchen kulturellen Entwicklungen der letzten höchstens 10 Jahre bist du überhaupt nicht zufrieden?

Tamara Schwarzmayr: Also, nicht zufrieden bin ich damit, wie Linz mit der Postära von Linz09 umgeht, weil da unter anderem auch viele Themen aufkamen, die vorher noch nicht so beachtet wurden, neue Diskurse, neue Inhalte, Möglichkeiten eines offeneren Zusammenarbeitens, vielleicht auch internationaler und ich es als vertane Chance finde, da nicht weiterzumachen. Insbesondere, was den Diskurs betrifft.

Vielleicht kannst du ein kurzes Resumee von Linz09 anhand von drei Punkten geben. Was war Linz09 für dich?

Tamara Schwarzmayr: Das ist eine sehr komplexe Frage. Ich war gerne dabei, weil es eine große Herausforderung war, ein Versuch in einer großen Dimension mit vielen Verästelungen und Auswirkungen auf viele bereiche der Stadt. Die Frage, wie eine Gesellschaft, ein System funktioniert, wie neue Impulse wirken, wie neue Synergien Veränderungen schaffen, oder auch nicht.

Womit kann Linz deiner Meinung nach im österreichischen Städtewettbewerb in kultureller Hinsicht punkten, vor allem im Vergleich zu ähnlich großen Städten wie Graz, Salzburg oder Innsbruck?

Tamara Schwarzmayr: Salzburg hat leider eine sehr kleine, sogenannte alternative Szene und versteift sich zu sehr auf die (noch) gut verkäufliche Hochkultur. Thomas Bernhard kann so schön über Salzburg schimpfen, und ich kann mich da nur anschließen. Innsbruck ist auch noch recht klassisch unterwegs, hat durchaus, auch im Umkreis der Stadt, einige wichtige Initiativen (Osterfestival Tirol zum Beispiel) – und es gibt kaum Austausch mit Innsbruck. Weil mit wem? Graz ist da schon anders. Es gibt ein wichtiges Filmfestival – vergleiche Linz, es gibt eine sehr aktive Musikszene – vergleiche Linz, es hat einige gute und wichtige Initiativen, die sich mit der Stadt, mit dem öffentlichen Raum beschäftigen – vergleiche NICHT Linz und es ist meines Erachtens bürgerlicher als Linz. Und was sich Linz an Charme erhalten sollte, ist eine gewisse Lebensnähe, eine charmante Rauheit. Linz muss nicht bürgerlich sein/werden, ganz im Gegenteil.

Inwieweit denkst du eigentlich, dass Linz international als Kulturstadt wahrgenommen wird? Welche geografische Reichweite hat die internationale Wahrnehmung deiner Meinung nach?

Tamara Schwarzmayr: Das lässt sich ganz schwer sagen. Während Linz09 wurden entsprechende Maßnahmen gesetzt, d. h. im deutschsprachigen Raum war es durchaus ein Thema und ist, soweit ich es feststellen konnte, auch gut angekommen. Ansonsten, so denke ich, wird es vor allem wegen dem Ars Electronica Festival international wahrgenommen. Eine Ausweitung dieses internationalen Austausches wäre wichtig. Das neue Musiktheater könnte/sollte und wird vielleicht in diese Richtung weisen, aber es sollte auch im nicht-institutionalisierten Bereich offener werden. Unterstützt natürlich von der Stadt, sonst kann sich das ja keine/r leisten.

Wie schätzt du den Stellenwert von Hochkultur, von Sub- oder Alternativkultur und von Volkskultur in Linz ein?

Tamara Schwarzmayr: Also, einigen PolitikerInnen ist die Volkskultur recht wichtig. Daher wird das, was ohnehin gelebt wird, gerne auch immer wieder instrumentalisiert. Stichwort Wahlkampf. Volkskultur ist überall da, wird gelebt und trägt auch einen Teil des kulturellen Gedächtnisses der Menschen. So auch in Linz. Einige Events werden damit geschmückt, Urfahraner Markt etc. Die Hochkultur gewinnt zunehmend an Bedeutung, d. h, Linz will sich in diesem Bereich stärker positionieren. Die Sub- bzw. Alternativkultur war immer ganz stark in Linz, stark in ihrem Wirken – früher sicher, stark in ihrer Positionierung – früher wie heute. Ich weiß nicht, ob ich das richtig sehe, aber mir kommt vor, dass sie zu oft auf ihre Vergangenheit schaut.

Wenn du einzelne künstlerische Disziplinen wie Malerei und Grafik, Tanz, Theater, Musik, Literatur, Film, Fotografie, Medienkunst usw. betrachtest: Wo würdest du allerdings meinen, wäre in der Stadt noch besonderes Entwicklungspotenzial vorhanden?

Tamara Schwarzmayr: Also, ich denke da in erster Linie an Theater und Tanz. Und ebenso an die Fotografie. Und an die Architektur. Letzteres, weil Linz eine gute Ausgangsbasis hat, aber diese nicht wirklich ausbaut. Und ganz allgemein und alle Disziplinen betreffend: mehr Austausch, mehr Zusammenarbeit, interdisziplinärer, offener, mehr Diskurs. Aber das scheitert vielleicht an der österreichischen Seele. In Wien muss daran auch noch gearbeitet werden.

Welche drei thematischen Schwerpunkte mit Kunst- und Kulturbezug werden deiner Meinung nach zukünftig die größten Herausforderungen für die Stadt darstellen? Begründe deine Einschätzung bitte kurz.

Tamara Schwarzmayr: 1. Spannungsfeld Internationalität – lokales bzw. regionales Arbeiten, siehe oben. 2. Anhand des Beispiels Tabakfabrik: Wer gestaltet mit und welche Bedingungen werden dafür gegeben, können selbst geschaffen werden, müssen umgestoßen werden? Begründung: da ist noch ganz viel Potenzial und Interesse da. Dieses könnte die Stadt enorm befruchten, ganz nach dem Motto: keine Angst vor Neuem, Anderen, … 3. Eine Zusammenarbeit zwischen institutionalisiertem und „freiem“ Kunst- und Kulturschaffen, weil viele Ressourcen nicht geteilt werden.

Zu den einzelnen Themenbereichen. Zu Interkulturalität/Migration/Integration: Wie schätzt du die Entwicklung der migrantischen Kulturarbeit in Linz in den letzten Jahren ein? Denk dabei an dir bekannte Einrichtungen, Initiativen und Personen, die in diesem Bereich tätig sind.

Tamara Schwarzmayr: Es gibt starke Initiativen, die viel geleistet haben. Allerdings fehlt es für mich an der Vermittlungsarbeit, sowohl im künstlerischen/kulturellen Sinn als auch im politischen Sinn. Es wäre meiner Erachtens wichtig, diese Themen zu gesellschaftlichen zu machen. Das kann nur dann passieren, wenn Diskurse nicht von Vorurteilen von beiden Seiten belastet werden. Da muss noch eine Öffnung passieren, die auch manchmal charmant sein kann und nicht immer nur ausschließlich kämpferisch.

Mit welchen besonderen Problemen sind Migrant_innen im Kunst- und Kulturbereich in Linz deiner Meinung nach konfrontiert?

Tamara Schwarzmayr: Dass sie zu wenige Ansprechpersonen im öffentlichen Leben haben, die ihre Themen kennen. Es sind viel zu wenige Menschen mit migrantischem Hintergrund in Entscheidungspositionen. Das ist ein Skandal, wenn man bedenkt, wie viele Menschen in Linz ursprünglich von woanders kommen. Dazu kommen noch sprachliche Probleme: wo einreichen, wie, was etc.? Mehrsprachigkeit im Verwaltungsbereich wäre ein wichtiger Schritt.

Wie würdest du die Verbindungen zwischen den verschiedenen migrantischen Kultureinrichtungen in Linz beschreiben?

Tamara Schwarzmayr: Migrantische Kultureinrichtungen sind recht unterschiedlich. Jedes Dorf hat einen eigenen Kulturverein. Diese arbeiten oft recht wenig zusammen, weil es auch einen Kampf um die Fördergelder gibt. Darunter gibt es auch einige, die schon sehr vernetzend tätig sind. Und die dann auch Kontakt haben zu den „großen Playern“, wie etwa maiz.

Und wie würdest du die Verbindungen zwischen diesen migrantischen und den nicht-migrantischen Einrichtungen aus dem Kunst- und Kulturbereich in Linz beschreiben?

Tamara Schwarzmayr: maiz, um wieder dieses Beispiel zu nennen, hat gute Verbindungen. Andere weniger bis kaum. Man ist froh, einen Saal zur Verfügung gestellt zu bekommen oder die Bühnenelemente für das Fest. Aber eine INHALTLICHE Verbindung findet eben nur recht selten statt. Das wird die Stadt aber dringend brauchen.

Welche Maßnahmen sollte die Stadt Linz setzen, um Interkulturalität zu fördern?

Tamara Schwarzmayr: Neben den drei bereits genannten: Themen öffentlich machen, mehr Menschen mit Migrationshintergrund in Entscheidungspositionen und Mehrsprachigkeit im Verwaltungsbereich. Das Erkennen, dass Kunst und Kultur von allen für alle ist, d. h. es müssen Inhalte künstlerisch/kulturell zur Sprache kommen, die auch wirklich alle betreffen. Erst dann wird es so sein, dass Menschen sich ein Stück anschauen, in eine Ausstellung gehen. Und es fehlt noch an der Vermittlung. Der Verein IBUK (ehemalige Kulturlotsinnen) setzt da jetzt wichtige Schritte, in diese Richtung sollte es weitergehen! Und unbedingt begonnen werden in Schulen.

Nächster Themenbereich: Kunst / Sozial- und Gesundheitswesen. Welche Verbindungen zwischen Kunst- und Kultureinrichtungen auf der einen Seite und Sozial- und Gesundheitseinrichtungen auf der anderen Seite fallen dir in Linz ein?

Tamara Schwarzmayr: Kunstraum Goethestraße, der nun in dieser Form geschlossen werden soll?

Nein, wurde abgewendet.

Tamara Schwarzmayr: Das ist gut zu hören!

Wie schätzt du das kultur- und kunstbezogene Angebot für physisch und psychisch beeinträchtigte Menschen in Linz ein? Was muss deiner Meinung nach in diesem Bereich noch getan werden?

Tamara Schwarzmayr: Möglichkeiten der Teilnahme, Vermittlung. Ich habe immer wieder erlebt, dass seitens der Krankenhäuser ein großes Interesse daran besteht, sich zu öffnen. Hier wäre noch Einiges an Potenzial da. Und dann natürlich die Therapien, aber da ist einiges in Entwicklung, soweit ich weiß: Musiktherapie etc. Was in Linz noch gar nicht wirklich gegeben ist: ältere und alte Menschen als Publikum einzubeziehen.

Welche Maßnahmen könnte die Stadt Linz setzen, um den Zugang zu Kunst und Kultur für armutsgefährdete oder in Armut lebende Menschen zu vereinfachen?

Tamara Schwarzmayr: Permanent mit „Hunger auf Kunst und Kultur“ zusammenarbeiten. Sich informieren und fragen, was Menschen in diesen Situationen brauchen, also ExpertInnen hinzuholen. Oft ist es nicht nur die finanzielle Situation, sondern auch die emotionale, die Menschen nicht (mehr) teilnehmen lässt. Volkshilfe, Caritas, Soma-BetreiberInnen etc. – sie alle wissen, was es braucht. Aber natürlich auch finanzielle Barrieren abbauen.

Weiter zum letzten Themenbereich: Stadtteile/Stadtrand/Region. Wie schätzt du das Verhältnis von Stadtzentrum zu Stadtrand in Linz ein, wenn du an die kulturellen Aktivitäten in der Stadt denkst?

Tamara Schwarzmayr: Es ist ein sehr unausgewogenes Verhältnis, da alle entsprechenden Institutionen im Stadtzentrum sind. Bellevue zum Beispiel hat gezeigt, dass Impulse Nachfrage schaffen und Menschen durchaus auch zum Bindermichl/Spallerhof fahren.

Welche Verbesserungsmöglichkeiten fallen dir hinsichtlich der Stadtteilkulturarbeit in Linz ein? Welche Maßnahmen könnte die Stadt abseits von finanziellen Förderungen setzen, um die Arbeit der Stadtteilkulturvereine und -initiativen zu erleichtern?

Tamara Schwarzmayr: Die Stadt könnte beginnen, ihnen öffentlich mehr Aufmerksamkeit zu zeigen. Es geht nicht nur darum, einen Stadtteilkultur-4/ler zu vergeben, sondern das, was dann daraus entsteht, ernst zu nehmen, aufzugreifen, Raum zu geben. Da würde schon eine entsprechende Kommunikation/Öffentlichkeitsarbeit helfen. Aber auch Unterstützung bei Einreichungen zum Beispiel. Es wäre auch wichtig, ein Netzwerk der aktiven Menschen aus den Stadtteilen zu forcieren. Bei Linz09/Kulturhauptstadtteil des Monats ist ein solches Netzwerk entstanden, haben sich Ideen formiert – siehe www.kulturhauptstadtteil.at – sehr bedauerlich, dass es danach von der Stadt nicht beachtet wurde, obwohl von den Beteiligten der Kontakt mit der Stadt gesucht wurde. So wie es jetzt ist, z. B. die Konzentration auf die Umsetzung eines großen Projekts in den Stadtteilen im Jahr 2011, bleibt es ein Feigenblatt, und das ist enorm schade und auch schädlich für die Stadt in ihrer Entwicklung.

Inwieweit könntest du dir vorstellen, das bisherige LinzFest in ein Stadtteilkulturfestival umzuwandeln?

Tamara Schwarzmayr: Die Idee ist gut. Dafür bräuchte es nur sehr gute Vorbereitungen. Es muss die Infrastruktur passen, zum Beispiel öffentlicher Verkehr – oder Parkplätze, weil die LinzerInnen fahren ja mit dem Auto. Es bräuchte guten Ersatz für die gewohnten und beliebten Veranstaltungsorte, sprich für den öffentlichen Raum im Zentrum. Aber Linz hat so viele feine und charmante Orte, da lässt sich einiges finden. Würde ich super finden.

Was könnte deiner Meinung nach getan werden, um die Zusammenarbeit zwischen der Stadt Linz und den umliegenden Gemeinden bei kulturellen Aktivitäten zu verbessern?

Tamara Schwarzmayr: Einen Fluxus schaffen, mit der ÖBB reden, mit den PendlerInnen reden, sie kennen beides. Konkrete Initiativen, Personen einladen. Residencies im Mühlviertel anbieten, einen eigenen geteilten Budgettopf, gemeinsame Bewerbung und erkennen, dass Linz zu einem guten Stück vom Land lebt, vom Land kommt. Wird ohnehin Thema werden, mittlerweile haben ja viele einen Garten in der Stadt.

Danke. Wir sind am Ende des Interviews angelangt. Ist dir noch etwas abgegangen? Willst du noch etwas Wichtiges mitteilen?

Tamara Schwarzmayr: Nein, eigentlich nicht. Wenn mir noch etwas einfällt, schicke ich eine eMail.

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