Wolfgang Winkler

Ihr Geburtsjahr und Geburtsort?

Wolfgang Winkler: 1945, Graz.

Sie leben in Linz?

Wolfgang Winkler: Seit 1979.

Neben ihrer Direktion, der künstlerischen Leitung des Brucknerhauses, welche kunst- und kulturbezogenen Aktivitäten und Funktionen üben Sie sonst noch aus? Bitte denken Sie auch an Jurys und Gremien.

Wolfgang Winkler: 1979 kam ich aus Graz an das Konservatorium in Linz, heute Anton Bruckner Privatuniversität. 1980 kam ich zum ORF Landesstudio OÖ und war dort Leiter der Sparte U-Musik. Gleichzeitig aber übernahm ich die Moderation der Sendung Pasticcio, die damals ins Leben gerufen wurde. Von 1984 bis 1998 war ich Musikabteilungsleiter, das heißt sowohl für die Agenden der U-Musik wie auch der E-Musik zuständig. Im Sinne der Entwicklung des Gesamt-ORFs wurde letztlich eine Kulturabteilung daraus. Parallel dazu war ich 19 Jahre lang bei den Salzburger Festspielen, in erster Linie als Aufnahmeleiter und Hilfe für den Salzburger Kollegen, tätig. Im Gegensatz zu den Gepflogenheiten der Abteilung Ö1 in Wien waren meine Kollegen und ich in den Landesstudios für alle Tätigkeiten zuständig: Vorbereitung der Aufnahme eines Konzertes, Aufnahme eines Konzertes, Präsentation in der Sendung eines Konzertes und die journalistische Begleitung im Hörfunk und im Fernsehen. Jurys: Landesmusikpreis, Anton-Bruckner-Preis, Leiter der Jury für das Kunstförderungsstipendium und den Kunstwürdigungspreis der Stadt Linz, international bei Dirigentenwettbewerben, beim Bösendorfer-Wettbewerb und annähernd zehn Jahre Vorsitzender der Jury des Prix Ars Electronica im Bereich Musik.

Wie würden Sie die eigene Tätigkeit am ehesten bezeichnen? Also wenn dann Ihr Name in dem Bericht aufscheint, Direktor der LIVA und des Brucknerhauses?

Wolfgang Winkler: Gemeinsam mit meinem Kollegen Wolfgang Lehner bin ich Geschäftsführer der LIVA (Brucknerhaus, Kinderkulturzentrum, Posthof, Sportanlagen). Unser Aufgabenbereich ist dergestalt aufgeteilt, dass Kollege Lehner den Sport und die Finanzen als seinen Bereich hat, alle künstlerischen Angelegenheiten der LIVA zu mir gehören und der Personalbereich gemeinsam mit Kollegen Lehner gemacht wird. Der Posthof hat zwei Direktoren, das Kinderkulturzentrum einen Leiter. In beiden Fällen ist das Detailprogramm ausschließlich Sache dieser leitenden Herren, aber die großen Linien werden mit mir besprochen. Für die Programmierung des Brucknerhauses bin ich auch im Detail zuständig. Daraus folgt, dass Vorstandsdirektor und Geschäftsführer Funktionstitel sind, der künstlerische Leiter als Titel den Inhalt näher bezeichnet.

Zur Einrichtung. Welche Zielgruppen werden durch die Arbeit des Brucknerhauses besonders angesprochen?

Wolfgang Winkler: Das Brucknerhaus war 1974 in seiner Funktion naturgemäß auf die Hochkultur der Musik beschränkt. Es war ein langjähriger Wunsch des Linzer Publikums in diese Richtung. Schon Horst Stadlmayr, der erste Generaldirektor des Hauses, erkannte aber, dass die Gründung des Festivals der Ars Electronica ein notwendiger Schritt Richtung Image-Bildung für die Stadt Linz war. Karl Gerbel wiederum hat durch Einführung des „Anderen Programms“ für eine programmatische Erweiterung des Brucknerhauses gesorgt. Mittlerweile spricht das Programm des Brucknerhauses eine möglichst große Publikumsmenge an: Jazz, Volksmusik, neue Musik, junge oö. Künstler, die mit ihrem Können sehr hoch stehen, aber noch nicht bekannt sind. Dazu kommt eine ganz enge Partnerschaft mit dem Bruckner Orchester. 1974 war dieses Orchester noch weit von einer internationalen Wertschätzung entfernt. Heute gehört das Bruckner Orchester zu den renommierten Orchestern in Österreich und Europa. Theodor Guschlbauer formulierte das so bei einer Wiedereinladung zum Orchester, welches er immerhin sieben Jahre leitete: „Entschuldigung, das ist nicht mein Orchester. Es heißt zwar so, aber hat mit meinem ehemaligen Bruckner Orchester nichts zu tun. Die Musiker sind mittlerweile unendlich viel besser.“

Von den künstlerischen Disziplinen? Meine Wahrnehmung ist, der Schwerpunkt liegt nach wie vor im E-Musik-Bereich, aber die Stränge zur Volksmusik oder vor allem zu zeitgenössischen, experimentelleren Musikformen sind deutlich erkennbar.

Wolfgang Winkler: Die Core-Kompetenz des Brucknerhauses ist die Konzertveranstaltung generell. Die großen Orchester mit den großen Standardwerken der Klassik seinem Publikum anzubieten, ist selbstverständlich der Kern. Allerdings hat sich das Musikverständnis des Publikums der mittleren Generationen, die nicht nur mit Klassik sondern auch mit den Beatles und dem Jazz aufgewachsen sind, geändert. Dieser Entwicklung folgend muss es ein Angebot geben für Interessenten des neueren Musikschaffens, für den Jazz, den man ja ebenso als zeitgenössische Musik bezeichnen kann, und auch im Vergleich innerhalb der Volksmusik. Österreich hält sich fälschlicherweise für das Musikland der Welt, was allerdings nur aus der Eigenschaft österreichischer Selbstüberschätzung erklärbar ist. Schon in Europa sind die Musikzentren wie London, Paris und viele andere namhaft zu machen. Dazu kommt im Klassikbereich ein fatales eurozentrisches Musikdenken. Nur die Musik unserer Klassiker und Romantiker ist das Non plus ultra der Musik. Dass es im Nahen Osten, in Indien und in China genauso wie in Südamerika eigenständige musikalische Entwicklungen gegeben hat und gibt, wird dabei negiert. Die Aufgabe eines Brucknerhauses muss es sein, auch diese musikalischen Strömungen in unserer Welt (ist nicht Weltmusik) zu reflektieren. Andere Aufführungsstätten wie zum Beispiel das Linzer Stadion und die Sporthalle ermöglichen es auch, Musikstile der Unterhaltungsmusik einem breiten Publikum anzubieten. Man könnte also formulieren, die LIVA mit dem Brucknerhaus und ihren Spielstätten behauptet nicht, Kultur für alle zu machen, aber es ist ein Anliegen, Musik für möglichst viele zu spielen.

Gibt es in Bezug auf die vorhandene räumliche und technische Infrastruktur aktuell einen Handlungsbedarf, d. h. den Wunsch nach quantitativer Erweiterung oder qualitativer Verbesserung?

Wolfgang Winkler: Grundsätzlich gibt es zwei Wünsche. Aufgrund der Wandlung des Publikums-verhaltens bräuchte das Haus einen Saal mit einem Fassungsvermögen von 800 Sitzen. Der Große Saal mit 1420 Sitzen ist nicht mit allen Programmen wirklich füllbar, wobei der Mittlere Saal mit 380 Sitzen wiederum zu klein ist. Wir behelfen uns damit, dass wir im Großen Saal die Galerie sperren, sodass dieser Saal dann ein Fassungsvermögen von 900 – 1000 Plätzen hat. Aber der Wunsch nach einem Saal mit 800 ist insofern unerfüllbare Vision, als am Haus dergleichen bauliche Veränderungen nicht durchführbar sind. Der zweite Wunsch ist, dass das Kinderkulturzentrum Kuddelmuddel in ein neues Gebäude neben dem Brucknerhaus kommt, wobei man bei einer solchen Konstruktion auch den gewünschten Konzertsaal andenken könnte. Aber auch diese Vision ist im Hinblick auf die Entwicklung der Tabakfabrik zu sehen. Ein Kinderkulturzentrum und ein weiterer Konzertsaal sind dort denkbar.

Über die kulturelle Entwicklung, Situation und Zukunft von Linz. Ein kurzes Assoziationsspiel: Welche Begriffe fallen Ihnen ein, wenn Sie an „Kulturstadt Linz“ denken?

Wolfgang Winkler: Das Logo der Stadt Linz heißt „Linz verändert“. Dieser Spruch bezieht sich auch sehr stark auf die Geschichte der Stadt Linz. Ende des 15. Jahrhunderts kurzfristig Kaiserstadt, dann eher stille Landeshauptstadt, dann im 20. Jahrhundert in kürzester Zeit zur Industriestadt geworden, nach dem Krieg eine Stahlstadt, die sich aber mit Hilfe Gsöllpointners Forum Metall und Forum Design, den Bau des Brucknerhauses, der Gründung der Universitäten in Richtung Kulturstadt bewegt. Ich glaube, dass die richtigere Bezeichnung allerdings ist, dass Linz nach wie vor eine von Wirtschaft und Industrie geprägte Stadt ist, die einen vergleichsweise enorm hohen Anteil an kulturellem Geschehen hat. Damit ist Linz im Vergleich europäischer Städte ziemlich einmalig.

Wenn man die letzte nähere Zeit betrachtet, also nicht zu weit zurückgeht. Forum Stahl I war, glaube ich, 1971, II war 1975, das Brucknerhaus 1974, Forum Metall 1977, das Forum Design 1980.

Wolfgang Winkler: 1978 auch die Ars Electronica. Sie ist im Brucknerhaus entstanden.

Im Rahmen vom Brucknerfest das erste Mal.

Wolfgang Winkler: Der Impuls kam vom Musiker Hubert Bognermayr, der Intendant des Landesstudio OÖ des ORF Hannes Leopoldseder erkannte die Tragfähigkeit dieses Themas für die Zukunft der Stadt, und Horst Stadlmayr, ich habe das weiter oben schon erwähnt, war der dritte Partner im Brucknerhaus, um diesen Impuls umzusetzen.

Wenn Sie die letzten zehn Jahre, also die Jahre 2000 bis 2010, betrachten: Was lief Ihrer Meinung nach besonders gut in der kulturellen Entwicklung der Stadt Linz?

Wolfgang Winkler: Spöttische und ironisierende Bemerkungen von Rest-Österreich wie „In Linz beginnt’s“ (Helmut Qualtinger), „In Linz stinkt’s“ (Voest!) oder „Linz an der Tramway“ sind Aussprüche, die in den letzten zehn Jahren ihren Inhalt verloren haben. Gut gelungen ist der Imagewandel der Industriestadt hin zur – auch – Kulturstadt, zur sozialen Musterstadt unter Beibehaltung der wesentlichen Wirtschaftsstadt. Gerade das Projekt Kulturhauptstadt Linz09 hat einen deutlichen Schub in der Selbsterkenntnis der Linzer in ihrer Stadt gebracht. Auch ist es gelungen, den Tourismus anzukurbeln und ausländischen Besuchern näher zu bringen, dass man Linz auch besichtigen kann.

Und mit welchen kulturellen Entwicklungen der letzten zehn Jahre sind Sie überhaupt nicht zufrieden?

Wolfgang Winkler: In der Art der Zusammenarbeit zwischen dem Land Oberösterreich und der Stadt Linz auf der einen Seite, in der Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Kultur und in der Zusammenarbeit der Institutionen und der sogenannten freien Szene sind noch einige Wünsche offen. Es ist noch nicht sehr im Denken verbreitet, dass das Projekt Kultur für möglichst viele keinerlei politische Färbung haben kann und dass man im Inhalt zusammenarbeiten sollte und nicht immer nur das besitzanzeigende „mein“ und „dein“ verwenden soll. Die Freie Szene hat in Linz seit der frühen Stadtwerkstatt zwar einen klingenden Namen, aber es ist manchmal schwer zu definieren, was die Freie Szene eigentlich genau ist. Hier gilt es aufzuarbeiten.

Womit kann Linz Ihrer Meinung nach im österreichischen Städtewettbewerb punkten, vor allem im Vergleich zu ähnlich großen Städten wie Graz, Salzburg oder Innsbruck? Ist es nur die Ars Electronica oder das Brucknerfest oder überhaupt Bruckner?

Wolfgang Winkler: Ich glaube, dass Linz lange Zeit immer das Stigma hatte, dass auf der Landkarte links Salzburg, rechts Wien und im Süden Graz ist. Salzburg ist eine Barockstadt und mit seinen Festspielen der Treffpunkt einer gesellschaftlichen Schickeria, die teils aus Wien und vornehmlich aus dem Ausland kommt, geworden. Wien ist eine wunderschöne Stadt aufgrund ihrer Vergangenheit, aber eigentlich zu groß für dieses kleine Österreich. Immerhin war Wien die Hauptstadt eines wesentlich größeren Kaiserreichs. Graz im Süden hatte lange den Ruf, eine Brutstätte für junge Künstler zu sein, vor allem im Opernbereich, und das letzte Bollwerk gegen den Kommunismus. Ansonsten ist Graz, sieht man vom Musikprotokoll und dem Steirischen Herbst ab, immer eine leicht verschlafene Stadt, die verkehrstechnisch in der Vergangenheit eher schwierig zu erreichen war. Es gibt zwar mittlerweile Autobahnen und eine wesentlich bessere Verkehrsstruktur, aber die Bahnverbindungen versucht die ÖBB wieder ziemlich unmöglich zu machen. Linz war zwischen diesen drei Städten und im Bewusstsein von Rest-Österreich nur durch die Voest präsent. Das hat sich geändert.

Inwieweit denken Sie, dass Linz international als Kulturstadt wahrgenommen wird? Und welche geografische Reichweite hat die internationale Wahrnehmung Ihrer Meinung nach?

Wolfgang Winkler: Im Bereich der Ars Electronica ist Linz mittlerweile weltbekannt, allerdings wissen viele nicht genau, wo Linz geografisch liegt.

Ist das noch immer so? Also wenn Sie jetzt reisen?

Wolfgang Winkler: Die geografische Kenntnis von Linz ist zweifellos besser geworden, das ist aber nicht allein der Verdienst des Mythos Anton Bruckner. Die Fangemeinde dieses Komponisten ist überschaubar. Die Bekanntschaft von Linz liegt zweifellos in seiner Wirtschaft. Es gibt viele Firmen, die weltweit an ihren Märkten eine führende Rolle spielen, die aber auch in Linz selbst unauffällig agieren. Beispiele: Zigarettenpapierherstellung, Borealis, Wasserwaagenlibellen oder die meisten Karosseriebleche deutscher Autos.

Was war denn Linz09 für Sie? Was würden Sie resümieren?

Wolfgang Winkler: Linz09 war ein Impuls für Linz selbst, ich erwähnte es bereits, war aber auch ein Grund viele bauliche Vorhaben in der Zeit fertig zu stellen: den Südtrakt des Schlossmuseums, das Salzamt, das Ars Electronica Center. Das sind sozusagen jene Vorhaben, die Linz09 eine gewisse Nachhaltigkeit verleihen.

Wie schätzen Sie den Stellenwert der Hochkultur in Linz ein?

Wolfgang Winkler: Sie ist das Ornament der bürgerlich reichen Gesellschaft. In diesem Verhalten hat sich letztlich seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht wirklich etwas verändert. Bruckner, Mozart, Garanca, Netrebko oder Franz Welser-Möst sind für viele eine Behübschung ihrer wirtschaftlich erfolgreichen Existenz. Insoweit hat die Hochkultur einen auch hohen Stellenwert, wenn man die Statistik außer Acht lässt. Immerhin aber kann das Brucknerhaus seit Jahren eine Jahresauslastung über 80 Prozent vermelden. Vergleichsweise gibt es in Deutschland und auch in der Schweiz keinen einzigen Konzertsaal oder kein einziges Opernhaus, das die 80-Prozent-Grenze überhaupt erreicht. So gesehen hat also Hochkultur einen hohen Stellenwert, wenn auch der Zugang nicht immer ein künstlerischer ist.

Das ist die Vermischung von Hochkultur und Popkultur. Zur Subkultur oder Alternativkultur. Wie schätzen sie den Stellenwert der Subkultur oder Alternativkultur in Linz ein? Was würden sie damit in Verbindung bringen?

Wolfgang Winkler: Der gegenwärtige gesellschaftliche Trend ist, dass Hochkultur aus den genannten Gründen zu einer Pop- oder Eventkultur wird. Banken zum Beispiel bieten Klassik zum Nulltarif für ihre Kunden an, durch Bezahlen überhöhter Gagen, und beeinflussen damit die kulturpolitische Landschaft. Die Popkultur selbst unterliegt letztlich ähnlichen Gesetzlichkeiten. Die großen international bekannten Popgruppen sind für eine Stadt wie Linz nahezu unbezahlbar und bei den kleinen unbekannten Nachwuchsgruppierungen fehlt naturgemäß das Publikum.

Ein dritter Bereich, der mich interessiert, der Stellenwert von Volkskultur in Linz? Was fällt Ihnen da dazu ein?

Wolfgang Winkler: Volkskultur und Hochkultur haben immer schon eine enge Beziehung zueinander gehabt. Volkskultur ist also ein wesentlicher Teil unserer Kultur generell. Zu beobachten ist allerdings, dass sich die Volkskultur in manchen ihrer Bereiche benimmt wie es die klassische Musikkultur gar nicht fertig bringt – gespreizt und überzogen.

Wenn Sie einzelne künstlerische Disziplinen wie Malerei und Grafik, Tanz, Theater, Musik, Literatur, Film, Fotografie usw. betrachten: Wo würden Sie meinen, wäre in der Stadt noch besonderes Entwicklungspotenzial vorhanden?

Wolfgang Winkler: Bei den genannten Kunstrichtungen möchte ich keine quantitative Analyse geben. Der Tanz war zweifellos lange Zeit etwas weniger im Fokus, ist aber mittlerweile zum Beispiel durch das Linzer Landestheater eindeutig belebt worden. Das Lentos sorgt beispielgebend für die Aufarbeitung der zeitgenössischen bildenden Kunst. Wenn man eine Kunstrichtung nennen kann, die mehr im Schatten agiert, ist es die Architektur. Hier wäre eine dynamischere Diskussion für mich sehr wünschenswert.

Das geht schon in die Richtung der nächsten Frage. Welche drei thematischen Schwerpunkte mit Kunst- und Kulturbezug werden zukünftig die größten Herausforderungen für die Stadt darstellen? Stellen Sie sich vor, Sie sind für den neuen Kulturentwicklungsplan zuständig und haben nur einen Abend Zeit, um mit hunderten Künstlerinnen und Künstlern der Stadt über höchsten drei Themen zu sprechen. Welche wären das?

Wolfgang Winkler: Ich antworte mit Schmunzeln. Wenn ich jetzt einen Abend Zeit habe, mit 100 Künstlern zu reden, dann gehe ich doch lieber Bier trinken. Das ist die Unmöglichkeit an sich. Ich glaube, hier kommen wir in das Thema der Kulturpolitik. Das ist eine Frage der Vision, ganz konkret der Politik für diese Stadt. Stellen wir eine Wachmannschaft, die „Hundstrümmerl“ sammelt, als politische Vision hin? Stellen wir eine Entwicklung in Richtung sehr viel Kultur als einen Agens dieser Gesellschaft hin? So wie es derzeit passiert. Die politische Vision, die ich persönlich für die wichtigste halte, ist: Verzahnung mit der Wirtschaft. Das heißt im Einzelnen, dass es der Wirtschaft klar sein muss, dass ohne ein wirkliches Kulturleben Linz auch kein Standort für Wirtschaft sein kann. Die Kulturwirtschaft, das sei hier vermerkt, ist nach den Nahrungsmitteln und der Grundstoffindustrie die drittgrößte Weltwirtschaft. Ein Umstand, der gerne übersehen wird.

Zu den Themenbereichen. Zuerst zu den Arbeitsbedingungen, Arbeitsverhältnissen und zur Sozialen Lage von Kunst- und Kulturschaffenden. Wenn Sie ihr näheres kulturelles bzw. künstlerisches Umfeld betrachten: Welche Arbeitsverhältnisse (Vollzeit, Teilzeit, Freie Dienstverträge, …) dominieren hier?

Wolfgang Winkler: Der Teilzeitkünstler. Ich kenne kaum jemanden, der von seiner Kunst wirklich leben kann. Im schriftstellerischen Bereich fällt mir vielleicht Franzobel ein, in der Musik, kenne ich keinen. Musiker sind meist Professoren oder fix in Orchestern angestellt. Von der Kunst zu leben ist nicht zuletzt aufgrund der Sozialgesetzgebung ein Ding der Unmöglichkeit. Es ist ein Unterschied, ob ein Balduin Sulzer als Klosterangehöriger, das ihm grundsätzliche Existenzprobleme abnimmt, oder ob ein Peter Androsch versucht, sich als Komponist durchzuschlagen.

Jetzt könnte man sagen, dass das schwierig ist. Erstens ist es sehr differenziert zu betrachten, weil es gibt eine ganze Bandbreite von Künstlerinnen und Künstlern, aber trotzdem etwas relativ Typisches mittlerweile – unter dem Schlagwort Prekarität. Gibt es irgendetwas, wo sie sagen würden, dass das in Linz anders ist wie in anderen Städten, wenn sie das betrachten?

Wolfgang Winkler: Das glaube ich nicht, dass das ein österreichischer Zustand und der Verdacht liegt sehr nahe, dass das ein europäischer Zustand ist. Dass der Beruf des Künstlers überall irgendwo im Bereich des Hobbys anzusiedeln ist. Ich glaube nicht, dass das wo anders anders ist.

Die Künstlersozialversicherung ist auch immer ein Thema in diesem Zusammenhang. Das läuft auf bundespolitischer Ebene. Die Frage, wenn es um Arbeitsbedingungen, Arbeitsverhältnisse, soziale Lage von Künstlerinnen und Künstlern, Kunst- und Kulturschaffenden geht, ist für uns, kann da die Stadt, die Kommune überhaupt etwas machen? Kann die Stadt Linz Maßnahmen setzen, um das zu verbessern?

Wolfgang Winkler: Maximal unterstützend. Das ist Bundessache natürlich in erster Linie, legistische Bundessache. Da ist die Kommune an letzter Stelle dran, aber natürlich kann sie etwas dazu tun. Sie kann die Diskussion zumindest unterstützen und weiter treiben. Ob das die Frau Bundesministerin hört oder nicht, ist eine andere Frage. Es ist im Prinzip halt keine Sache der Kommunen, das ist schon eine übergeordnete Problematik, die von oben her zu lösen ist.

Der zweite Themenbereich lautet junge Potenziale, Nachwuchsförderung. Inwieweit denken Sie, dass Linz für junge Kunst- und Kulturschaffende ausreichende Möglichkeiten zur Betätigung bietet?

Wolfgang Winkler: Aus der Sicht der jungen Künstler ist ausreichend immer das falsche Wort. Trotzdem, Linz bietet sehr viel: Linzer Musikschule, die Kunsthochschule, auch das Salzamt, Musikuniversität. Das Landesmusikschulwerk darf keineswegs ausgeklammert werden. Es ist beispielgebend für alle andere Bundesländer und ähnliche Modelle in ganz Europa. Nur ich halte die Förderung des Nachwuchses für ein entscheidendes Investment in die Zukunft.

Welche Maßnahmen sollte die Stadt treffen, um die Abwanderung von jungem Potenzial in diesem Bereich zu verhindern und um verstärkt junge Kunst- und Kulturschaffende bzw. kreativ Tätige in die Stadt zu locken?

Wolfgang Winkler: Wegzugehen von seiner Heimatstadt halte ich für alle jungen Künstler als eine Pflicht ihrem Beruf gegenüber. Sie wieder zurückzuholen, ist die Pflicht von Stadt und Land. Dazu bedarf es passender Möglichkeiten, sich künstlerisch zu entfalten bei einigermaßen passender Bezahlung. Also Konzertmöglichkeiten, Ausstellungsmöglichkeiten, Lesemöglichkeiten, Preisanreize und eine wirklich geplante und strukturierte Kunstförderung.

Was würden Sie sich in diesem Zusammenhang von den Bildungseinrichtungen, insbesondere den Universitäten, wünschen?

Wolfgang Winkler: Die Antwort scheint mir einfach zu sein, ich wünsche mir eine geisteswissenschaftliche Fakultät. Die Kepler Universität ist naturwissenschaftlich-juridisch ausgerichtet und gerade im Brucknerhaus merke ich deutlich das Fehlen einer geisteswissenschaftlichen Orientierung. Die Bruckner Universität sollte sich in den nächsten Jahren zur wirklichen Musikuniversität profilieren. Das heißt konkret, genau zu wissen, in welche Richtung man gehen will. Es scheint mir wenig zu bringen, wenn man nur versucht, möglichst viel anzubieten. Die Beobachtung des „Marktes“ ist unerlässlich, mit anderen Worten, ich muss nicht immer und in allen Bereichen Gleiches anbieten wie Salzburg oder Wien. Ein musikwissenschaftliches Institut einzurichten, wie es der Wunsch der Rektorin zu sein scheint, halte ich für wenig sinngebend, eine künstlerische Spitzenqualität in manchen Instrumentalbereichen allerdings für wünschenswert.

Kommen wir zum nächsten Themenbereich, nämlich Schule und Bildung und Wissenschaft. Wie schätzen Sie das Interesse von Linzer Schülerinnen und Schülern am bestehenden Kunst- und Kulturangebot ein? Fällt Ihnen da irgendetwas auf?

Wolfgang Winkler: Ja. Wenn Studenten vermehrt in Konzerte kommen, muss ich mich fragen, ob ich etwas falsch gemacht habe. Mit anderen Worten, das Interesse von Studenten an ihrer kommenden Berufsumwelt ist gering. Das allerdings ist nicht nur den Studenten anzulasten sondern mindestens im gleichen Maß ihren Lehrern. Möglichkeiten für Studenten und Schüler gibt es in Linz wahrhaft genug, aber die Begeisterung, sich dafür zu interessieren, muss schon vom Lehrer und selbstverständlicher Weise vom Elternhaus her kommen.

Welche Maßnahmen im Erwachsenenbildungsbereich (z. B. Arbeiterkammer, Gewerkschaftsbund, bfi, WIFI, Volkshochschulen, Bildungshäuser und -zentren, …) könnten Ihrer Meinung nach gesetzt werden, um das Interesse an Kunst und Kultur in Linz weiter zu fördern?

Wolfgang Winkler: Es ist nicht die Frage, was eine einzelne Institution mehr für Kunst und Kultur machen kann. Es ist mehr die Frage, wie alle Institutionen gemeinsam das Bewusstsein, dass Kunst und Kultur wichtige Lebensbereiche sind, fördern können. In diesem Zusammenhang müssen auch die Medien angesprochen werden. Die vordergründige Suche nach Quoten bedingt, dass sich Medien nur mit den „Sensationen“ unserer Gesellschaft auseinander setzen. Eine wirkliche Betrachtung oder gar Analyse des Zustandes von Kunst und Kultur ist nicht ihre Aufgabenstellung. Und doch! Die Medien können zum oben angesprochenen allgemeinen Bewusstsein der Wichtigkeit von Kunst und Kultur einiges beitragen, was sie allerdings geflissentlich vermeiden. Es gilt hier immer noch die Erkenntnis, dass die Garderobe von Frau Helga Rabl-Stadler zumindest für manche Medien wesentlich wichtiger ist als ein Kunstereignis. Dieses Sich-Anbiedern an einen Celebrity-Kult beeinflusst notwendigerweise auch die Meinung breiter Publikumsschichten. Netrebko, Thielemann oder andere Protagonisten aus dieser Ebene zu kritisieren grenzt an Gotteslästerung und lässt Banausentum vermuten. Zu wünschen wäre beim Publikum die Neugierde zu wecken und auch zu erhalten. Ich kann etwas ablehnen, wenn ich es vorher gesehen, gehört oder gelesen habe. Das Denken in Klischees und die vielgeübte österreichische Eigenschaft der Vorverurteilung ist abzulehnen.

Herzlichen Dank für das Interview.

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